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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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reicher gewesen und hatte sich doch nie ärmer gefühlt.
    Sie fuhren an dem zerstörten, von Scheinwerfern angestrahlten Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vorbei. Hinter ihr ragte das von einem Mercedes-Stern gekrönte Europa Center auf. Max folgte alsbald schon einer dunklen Ausfallstraße neben einem Kanal. Arkadis innerer Kompaß begann zu arbeiten. Noch bevor sie die Friedrichstraße erreicht hatten, wußte er, daß sie sich im ehemaligen Ost-Berlin befanden.
    Max fuhr die Rampe zu einer Tiefgarage hinunter. Als sie die Einfahrt passierten, ging das Licht in der Garage automatisch an. Der Geruch von feuchtem Beton schlug ihnen wie der Chlordampf einer Badeanstalt entgegen. Elektrische Verteilerkästen hingen an Drähten von den Wänden.
    »Wie alt ist das Gebäude?« fragte Arkadi. »Es ist noch im Bau.«
    »Glaub mir«, sagte Irina, »niemand wird wissen, daß du hier bist.«
    Max schloß die Tür zu einem Lift auf. Der Aufzug hatte kristallene Wandleuchten und einen unzerkratzten Parkettboden. Er stellte Irinas Köfferchen ab. Mit seiner Reisetasche kam Arkadi sich vor wie ein Arbeiter mit einem Sack voller Werkzeug.
    Sie hielten im vierten Stock. Max öffnete die Tür zu einem Einzimmer-Appartement. »Nur ein Studio. Es ist noch nicht möbliert, fürchte ich, aber die elektrischen Leitungen und sanitären Einrichtungen sind installiert, und es ist mietfrei.« Feierlich überreichte er Arkadi den Wohnungsschlüssel. »Wir wohnen direkt über Ihnen.«
    Irina sagte: »Hier bist du sicher, das ist die Hauptsache.«
    »Danke«, sagte Arkadi.
    Max drängte Irina wieder in den Lift. Er hatte sie, das genügte.
     
    Der Schlüssel hatte frisch gefräste, scharfe Zacken. Ideal, um ein Herz aufzuschließen, dachte Arkadi, wenn man sich geschickt zwischen den Rippen vorarbeitet.
    Kein Bett, kein Bettzeug, keine Stühle, keine Kommode. Leere Wände stießen übergangslos auf einen Holzfußboden. Das Badezimmer war rundum mit Fliesen ausgestattet, die wie Zähne funkelten. Die Küche hatte einen Herd, aber kein Geschirr. Wenn er etwas zu essen gehabt hätte, hätte er es in der hohlen Hand über der Flamme garen können.
    Seine Schritte klangen unverhältnismäßig laut von den Wänden wider. Er lauschte auf Geräusche aus der Wohnung über ihm. In München hatte er gefürchtet, daß Irina mit Max schlief. Jetzt wußte er es. Wie sah die Wohnung dort oben wohl aus? Arkadi malte sich die frisch geweißten Wände, den gebohnerten Fußboden aus.
    Auch den Rest konnte er sich vorstellen.
    Er fragte sich, ob er nicht besser in München geblieben wäre.
    Wählen zu können, das war der Luxus, seine Stimme abzugeben, Schuhe anzuprobieren, ein Menü zusammenzustellen und sich zwischen schwarzem und rotem Kaviar zu entscheiden.
    Er hatte nach Berlin kommen müssen. Wenn er nicht gekommen wäre, hätte er Irina verloren, ganz zu schweigen von Max. So hatte er sie beide. Wie ein Mann, der stolz darauf ist, zwei Schlingen um den Hals zu tragen.
     
    Der Lift war verschlossen. Arkadi ging über die Feuertreppe nach unten in die Tiefgarage, wo er eine Tür aufdrückte und auf den Bürgersteig trat. Auch wenn die Friedrichstraße eine der größeren Straßen war, war sie doch nur trübe beleuchtet. Arkadi war der einzige Fußgänger. Wer nicht bereits zu Hause war, war im Westteil der Stadt.
    Er entdeckte die Spitze eines Fernsehturms und wußte sofort, daß der Alexanderplatz rechts, der Westteil der Stadt links von ihm lag. Die geistige Karte, nach der er sich orientierte, war mindestens gute zehn Jahre alt, aber nur wenig größere Städte in Europa hatten sich in den letzten vierzig Jahren so wenig verändert wie Ost-Berlin. Der Vorteil des sowjetischen Modells bestand darin, daß Neubau und Pflege auf ein Minimum beschränkt blieben, was sowjetische Gedächtnisse ausgezeichnet funktionieren ließ.
    München war neues Territorium für Arkadi gewesen, Berlin nicht. In seiner Militärzeit war er damit betraut worden, Tag um Tag den Funkverkehr der britischen und amerikanischen Patrouillen zu überwachen, wenn sie durch den Tiergarten zum Potsdamer Platz fuhren, durch die Stresemann- und Kochstraße zum Checkpoint Charlie, dann über die Prinzenstraße und wieder zurück. Er folgte ihnen von dem Augenblick an, da sie ihren Wagenpark verließen. Es war der Weg gewesen, den er selbst tagtäglich zurückgelegt hatte.
    Es spielte keine Rolle, wie schnell Arkadi ging. Die Eifersucht ging mit ihm, warf ihren Schatten mit riesigen

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