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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Beringmeer. Er hatte nie zuvor darüber nachgedacht, welchen Schatz an Erfahrungen er im Exil gesammelt hatte, wie einzigartig und schön sie waren und wie klar sie zum Ausdruck brachten, daß ein Mann nie sicher sein konnte, ob seine Augen am nächsten Tag noch für sie offen waren.
    Zu Mittag aßen sie eine Mikrowellen-Pizza. Köstlich.
    Er erzählte ihr, wie der erste Wind morgens die Bäume der Taiga erschauern ließ, schwarzen Vögeln gleich, die zum Flug abhoben. Er sprach von den Feuern auf den Ölfeldern, die jahrelang brannten, Leuchtbaken, die man vom Mond aus sehen konnte. Er beschrieb, wie er im arktischen Eis von Trawler zu Trawler gewandert war. Geräusche und Anblicke, wie sie Chefinspektoren normalerweise vorenthalten blieben.
    Sie tranken Rotwein.
    Er sprach von den Arbeiten im Laderaum der Polar Star, wo die Fische ausgenommen wurden, und wie jeder dort eine eigene Persönlichkeit war mit einer Phantasie, die von keinem Schandeck begrenzt wurde - ein Verteidiger der Partei, der zur See fuhr, um Abenteuer zu suchen, ein Botaniker, der von sibirischen Orchideen träumte, jeder ein Licht in einer eigenen Welt.
    Nach dem Wein tranken sie Cognac.
    Er beschrieb das Moskau, das er bei seiner Rückkehr vorgefunden hatte. Eine Bühne, ein Schlachtfeld von Kriegsherren und Unternehmern, dahinter, wie auf einem Prospekt, acht Millionen Menschen, die Schlange standen. Und doch gab es Augenblicke, in denen die Sonne am Morgen tief genug stand, um einen goldenen Fluß und blaue Kuppeln zu finden, Augenblicke, in denen die ganze Stadt der Erlösung zu harren schien.
     
    Die  Körperwärme  der  Gäste  und  der Dampf der Espressomaschine hatten die Fenster beschlagen lassen, so daß das Licht und die Farben der Straße nur undeutlich zu erkennen waren. Etwas hatte Irinas Aufmerksamkeit erregt, und sie wischte die Scheibe ab. Max stand davor. Wie lange hatte er schon durch das Fenster geblickt?
    Er kam herein und sagte: »Ihr seht aus wie zwei Verschwörer.«
    »Setzen Sie sich zu uns«, forderte Arkadi ihn auf.
    »Wo hast du gesteckt?« fragte Max Irina. Sein Verhalten ihr gegenüber wirkte beunruhigt, erleichtert und gleich wieder beunruhigt, in rasch aufeinanderfolgenden Schritten. »Du bist den ganzen Tag nicht im Sender gewesen. Man hat sich Sorgen um dich gemacht, wir haben dich überall gesucht. Wir wollten doch morgen nach Berlin fahren.«
    »Ich habe mit Arkadi gesprochen«, sagte Irina. »Und ist alles besprochen?«
    »Nein.« Irina nahm eine von Arkadis Zigaretten und zündete sie sich an. Sie tat es betont gleichgültig. »Max, wenn du in Eile bist, fahr nach Berlin. Ich weiß, daß du dort zu tun hast.«
    »Wir beide haben dort zu tun.«
    »Meine Sache kann warten«, sagte Irina.
    Max war für einen Augenblick völlig still und blickte Irina und Arkadi forschend an, dann ließ er seine brüske Art fallen wie die Regentropfen, die er von seinem Hut schüttelte. Arkadi erinnerte sich an das, was Stas über seine Fähigkeit gesagt hatte, sich jeder veränderten Situation sofort anzupassen.
    Max lächelte, zog einen dritten Stuhl an den Tisch, setzte sich und nickte Arkadi anerkennend zu. »Renko, ich bin erstaunt, daß Sie noch hier sind.«
    »Arkadi hat mir erzählt, was er in den letzten Jahren gemacht hat. Es klingt anders, als das, was ich gehört habe«, sagte Irina.
    »Er hat wahrscheinlich untertrieben«, sagte Max. »Man behauptet, er sei der Liebling der Partei gewesen. Wer weiß, wem man glauben soll?«
    »Ich weiß es«, sagte Irina. Sie blies den Rauch in Max’ Richtung.
    Er wedelte ihn beiseite und betrachtete seine Hand, als hafteten Spinnweben an ihr. Dann blickte er Arkadi an. »Wie laufen Ihre Ermittlungen?«
    »Nicht gut.«
    »Keine Verhaftung zu erwarten?«
    »Weit davon entfernt.«
    »Die Zeit wird knapp für Sie.«
    »Ich habe schon daran gedacht, den Fall aufzugeben.«
    »Und?«
    »Hierzubleiben.«
    »Wirklich?« fragte Irina.
    »Sie scherzen«, sagte Max. »Sie sind doch nicht den ganzen Weg nach München gekommen, um aufzugeben. Wo ist Ihre patriotische Pflichtauffassung geblieben, Ihr Stolz?«
    »Ich habe kaum noch ein Vaterland und bestimmt keinen Stolz.«
    »Arkadi braucht nicht der Letzte zu sein, der in Rußland bleibt«, sagte Irina.
    »Manche Leute gehen zurück, weil sie die Chancen sehen, die sich ihnen bieten«, sagte Max. »Jetzt ist die Zeit, seinen Beitrag zu leisten, nicht wegzulaufen.«
    »Interessant, das von jemandem zu hören, der zweimal weggelaufen ist«,

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