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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Unter schräg einfallendem Licht wurden vergrößerte Pinselstriche zu variationsreichen horizontalen Kommas - ein Filigran von Strichen hier, eine dichte Masse von Strichen dort, in einem Meer unterschiedlicher Rottöne, die an den Stellen von sogenannten »Krakelüren« aufgerissen wurden, an denen sich die rote Farbe nicht mit dem darunterliegenden Gelb verbunden hatte.
    »Auch wenn das Werk selbst unsigniert ist«, sagte Irina, »bildet doch jeder Pinselstrich eine eigene Signatur. Die Malweise, die Wahl der Farben, das Übermalen, die fehlende Signatur, sogar die Krakelüren - alles ist typisch für Malewitsch.«
    Arkadi gefiel das Wort »Krakelüre«. Unter dem richtigen Licht würde selbst er Krakelüren aufweisen, dachte er.
    Der Projektionsschirm wurde wieder weiß, ehe ein vergrößertes Leinwandgewebe und eine Grundierung erschien, die im schräg einfallenden Licht ein Relief bildete,   auf  dem   sich   schwach   ein verräterischer Fingerabdruck abzeichnete. Irina fragte: »Wessen Hand hat diesen Abdruck hinterlassen?«
    Ein Gesicht mit tiefliegenden, melancholischen Augen erschien auf dem Projektionsschirm. Die Kamera fuhr zurück und zeigte die blaue Uniformjacke und die zerfurchten Züge des verstorbenen Generals Penjagin. Kaum jemand, den Arkadi je wiederzusehen erwartet hatte, am wenigsten in künstlerisch interessierten Kreisen. Mit einem Kugelschreiber wies der General auf die einander gleichenden Spiralen und Deltas zweier Fingerabdrücke. Der eine war vom Roten Quadrat, der andere von einem authentischen Malewitsch im russischen Staatsmuseum abgenommen worden. Eine unsichtbare Stirnme übersetzte. Arkadi dachte, daß deutsche Gerichtsmediziner die gleiche Aufgabe hätten übernehmen können, aber ein Sowjetgeneral war natürlich eindrucksvoller. Inzwischen hatte er die Stimme als die von Max erkannt, sie fragte: »Würden Sie sagen, daß beide Abdrücke von derselben Person stammen?«
    Penjagin starrte direkt in die Kamera und setzte sich eindrucksvoll in Positur, als ob er spürte, wie kurz seine Rolle als Star sein würde. »Nach meiner Überzeugung«, sagte er, »stammen beide Abdrücke eindeutig vom selben Individuum.«
    Als das Licht im Raum wieder anging, erhob sich der am distinguiertesten aussehende Herr im Publikum und fragte barsch: »Zahlen Sie einen Finderlohn?«
    Margarita beantwortete die Frage. »Nein. Obgleich ein Finderlohn völlig legal wäre, haben wir von Anfang an direkt mit dem Besitzer verhandelt.«
    Der Mann sagte: »Solche Zahlungen sind bekanntlich nichts als Lösegelder. Wie Sie wissen, denke ich an die Unsummen, die in Texas für den Quedlinburg-Schatz gezahlt wurden, der nach dem Krieg von einem amerikanischen Soldaten aus Deutschland entwendet wurde.«
    »Es ist kein Amerikaner beteiligt.« Margarita deutete ein Lächeln an.
    »Aber das ist nur ein Beispiel für die zahllosen deutschen Kunstwerke, die von den Besatzungsmächten außer Landes geschafft wurden. Wie das ins Reinhardsbrunner Schloß ausgelagerte Gemälde aus dem 17. Jahrhundert, das von russischen Truppen geraubt wurde. Wo ist es jetzt? Es wird bei Sotheby’s versteigert.«
    Margarita versicherte ihm: »Es sind auch keine Russen beteiligt, abgesehen von Malewitsch. Und natürlich habe ich selbst einen gewissen russischen Hintergrund. Ihnen müßte doch bekannt sein, daß es streng verboten ist, Kunstwerke aus dieser Zeit und in dieser Qualität aus der Sowjetunion auszuführen.«
    Der Kunstliebhaber war besänftigt und setzte sich, freilich nicht, ohne einen letzten Schuß abzufeuern: »Dann kommt es also aus Ostdeutschland?«
    »Ja.«
    »Dann ist es eines der wenigen guten Dinge, die von dort kommen.«
    Er fand allgemeine Zustimmung.
    War das Bild wirklich ein Malewitsch? fragte sich Arkadi. Der Auftritt Penjagins besagte gar nichts. Konnte die Geschichte wahr sein? Tatsache war, daß die meisten noch  existierenden Werke  Malewitschs  auf dunklen Wegen in die Museen gelangt waren, in denen sie sich heute befanden. Er war wie kein anderer ein Vogelfreier unter den Künstlern des Jahrhunderts.
     
    Margarita Benz spielte die Rolle einer strengen, aber großzügigen Gastgeberin. Sie hielt die Leute auf Armlänge vom Bild entfernt, untersagte Fotos und lotste ihre Gäste zu einem mit Kaviar, geräuchertem Lachs und Champagner beladenen Tisch. Irina ging von Gast zu Gast und beantwortete Fragen, die in den Ohren Arkadis wie Beschuldigungen klangen. Aber wenn die Leute nicht zufrieden gewesen

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