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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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hatte, neben einem Videorecorder und einem parabolischen Projektionsschirm wartete. Da es nicht genügend Stühle gab, setzten sich viele auf den Fußboden oder lehnten sich gegen die Wand. Arkadi fing einige ihrer Bemerkungen auf. Es waren Kunstliebhaber und Sammler, weit beschlagener als er, aber selbst er wußte, daß kein Rotes Quadrat Malewitschs je außerhalb Rußlands zu sehen gewesen war.
    Irina Asanowa und Margarita Benz gingen zur Bühne, während Max sich zu Arkadi gesellte. Erst als es im Raum völlig still geworden war, begann die Galeristin zu sprechen. Sie hatte eine rauhe Stimme mit einem russischen Akzent, und obwohl Arkadis Deutsch nicht ausreichte, um jedes Wort zu verstehen, begriff er, daß sie Malewitsch als einen der Begründer der modernen Malerei neben Cezanne und Picasso stellte, vielleicht - als bedeutendster, revolutionärster Künstler, als das Genie seiner Zeit - sogar etwas höher. Wie Arkadi sich erinnerte, hatte Malewitschs Problem darin bestanden, daß es neben ihm noch ein anderes, im Kreml residierendes Genie gab, und daß dieses Genie, Stalin, dekretiert hatte, daß sowjetische Schriftsteller und Maler »Ingenieure der menschlichen Seele« zu sein hatten und daß ihre Aufgabe darin bestehe, realistische Bilder von proletarischen Menschen zu malen, die Dämme erbauten und Weizen ernteten - keine mysteriösen roten Quadrate.
    Margarita Benz stellte Irina als Verfasserin des Katalogs vor, und als sie vortrat, sah Arkadi, daß sie ihn und Max über die Stuhlreihen hinweg anblickte. Selbst in seinem neuen Pullover kam er sich eher wie ein ungeladener Gast vor, während Max die entgegengesetzte Rolle übernommen hatte und praktisch als Gastgeber fungierte. Oder waren er und Max nur so etwas wie Bücherstützen, ein Paar, das zusammengehörte?
    Das Licht ging aus. Auf dem Projektionsschirm erschien in vierfacher Vergrößerung das Rote Quadrat.
    Irina sprach deutsch und russisch. Russisch für ihn, Arkadi, deutsch für die anderen. »Die Kataloge sind am Eingang erhältlich und gehen weit mehr ins Detail, als ich es in meinen Ausführungen hier tun werde. Es ist jedoch wichtig, daß Sie ein visuelles Verständnis der Vorgänge erlangen, die das Bild zu dem gemacht haben, was es heute ist. Es gibt einige Details, die Sie nur auf dem Projektionsschirm sehen und die Sie selbst dann nicht erkennen könnten, wenn wir Ihnen gestatteten, das Bild in die Hand zu nehmen und es aus nächster Nähe zu betrachten.«
    Es war vertraut und seltsam zugleich, Irinas Stimme in der Dunkelheit zu hören. Es war, als hörte er sie im Radio.
    Das Rote Quadrat auf dem Schirm wurde durch das Schwarzweißfoto eines Mannes mit dunklen Augenbrauen, Schlapphut und Mantel ersetzt, der vor einer intakten Kaiser-Wilhelm-Kirche stand - derselben Kirche, die jetzt als Mahnmal am Ku’damm die Touristen anzog.
    »Im Jahre 1927«, fuhr Irina fort, »besuchte Kasimir Malewitsch Berlin anläßlich einer Retrospektive seiner Werke. In Moskau war er bereits in Ungnade gefallen. In Berlin lebten damals zweihunderttausend russische Emigranten. München hatte Kandinsky, Paris hatte Chagall, die Dichterin Zwetajewa und das Ballett Russe. Malewitsch dachte daran, sich abzusetzen. Die Berliner Ausstellung umfaßte siebzig seiner Bilder. Er selbst brachte eine unbestimmte Anzahl weiterer Werke mit - mit anderen Worten, die Hälfte seiner gesamten Produktion. Als er im Juni nach Moskau zurückbeordert wurde, folgte er der Aufforderung dann aber. Seine Frau und seine kleine Tochter befanden sich noch in Rußland. Außerdem verstärkte die Agitations- und Propagandaabteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei ganz allgemein ihren Druck auf die Kunst, und Malewitschs Schüler appellierten an ihn, sie zu schützen. Als er den Zug nach Moskau bestieg, gab er Anweisung, keines seiner Werke zurück nach Moskau zu schicken.
    Nach Ende der Berliner Retrospektive dann wurden sämtliche Werke von der auf Kunsttransporte spezialisierten Firma Gustav Knauer in Kisten verpackt und zur Lagerung ins Provinzialmuseum in Hannover geschickt, das auf weitere Anweisungen von Malewitsch wartete. Einige der Bilder wurden dort auch ausgestellt, aber als die Nazis 1933 an die Macht gelangten und unter anderem auch die Werke der russischen Avantgarde zur >entarteten Kunst< erklärten, kehrten die Bilder Malewitschs wieder in ihre Kisten zurück und wurden im Keller des Museums verwahrt.
    Wir wissen, daß sie noch dort waren, als Albert Barr, der

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