Das Labyrinth
einen Ihrer Gäste richtig verstanden habe, gibt es seit dem Fall der Mauer zu viele Russen hier.«
Rita lachte verächtlich. »Nicht zu viele Russen. Zu viele neue Deutsche. West-Berlin war immer was Besonderes, aber jetzt ist es eine deutsche Stadt wie jede andere. All diese Jugendlichen aus dem Osten der Stadt, die ihr Leben lang vom westlichen Lebensstil geträumt haben und jetzt herkommen und sich als Punks aufführen, mit Vätern, die unverbesserliche Nazis sind. Kein Wunder, daß die WestBerliner davonlaufen.«
»Wollen Sie auch davonlaufen?«
»Nein. Berlin ist die Zukunft. So wird ganz Deutschland einmal werden. Berlin ist offen.«
Sie saßen zu viert im Restaurant am Savignyplatz. Max genoß das langsame Abebben der Erregung wie ein Regisseur den geglückten Verlauf einer Premiere und überschüttete Irina mit Komplimenten, ganz so, als sei sie sein Star. Sie glühte, umgeben von Kerzen und Kristall. Rita saß auf demselben Platz wie auf dem Video. Während sie Max, Irina und Arkadi betrachtete, schien sie über ein Grundproblem der Arithmetik nachzusinnen.
Für Arkadi verschwanden Max und Margarita mehr und mehr im Hintergrund, er hatte nur noch Augen für Irina. Ihre Blicke begegneten sich, spürbar wie eine Berührung. Er verfolgte die Unterhaltung, ohne sich an ihr zu beteiligen.
Der Kellner setzte sein Tablett neben Max ab und wies mit dem Kopf auf zwei Männer in schimmernden Anzügen, die sich ihnen durch den Park näherten. Sie gingen langsam, als führten sie einen Hund an der Leine, nur daß sie keinen Hund hatten.
»Tschetschenen. Letzte Woche haben sie ein Restaurant eine Straße weiter auseinandergenommen. Die ruhigste Straße in ganz Berlin. Einen Kellner haben sie vor den Augen der Gäste mit einer Axt erschlagen.« Er kratzte sich am Arm. »Mit einer Axt.«
»Was geschah danach?« fragte Arkadi.
»Danach? Später sind sie noch einmal zurückgekommen und haben gesagt, daß sie das Restaurant beschützen wollten.«
»Empörend«, sagte Max. »Aber Sie werden doch bereits beschützt, oder?«
»Ja«, antwortete der Kellner rasch.
Die Tschetschenen überquerten die Straße und gingen auf das Restaurant zu. Arkadi hatte den einen mit Ali im Springer-Cafe gesehen. Der andere war Alis jüngerer Bruder Beno, er hatte die Größe und den krummbeinigen Gang eines Jockeys. »Sie sind Borjas Freund, nicht? Wir haben gehört, daß Sie hier eine Wohnung haben.«
»Habt ihr eine Wohnung?« Max tat erstaunt.
»Eine ganze Suite.« Beno hatte offensichtlich die aufmerksamen Augen und die Konzentrationsfähigkeit seines Großvaters geerbt. Er ist der nächste Mahmud, nicht Ali, dachte Arkadi. Beno blickte Max so scharf an, daß er keinen der anderen am Tisch zu bemerken schien. »Können wir uns zu Ihnen setzen?«
»Ihr seid noch nicht alt genug.«
»Dann sehen wir uns später noch mal.«
Beno drehte sich um und ging mit dem älteren Tschetschenen die Straße hinunter, zwei Globetrotter, mit sich und der Welt zufrieden.
Als Rita bezahlen wollte, bestand Max darauf, die Rechnung zu übernehmen. Er schien nicht nur Wert darauf zu legen, als großzügiger Gastgeber zu erscheinen, sondern auch als jemand, der Herr der Lage war. Aber er war nicht Herr der Lage, dachte Arkadi. Niemand war es.
Mitten in der Nacht wachte Arkadi auf und wußte, daß Irina bei ihm im Zimmer war. Sie trug einen Regenmantel, die Füße nackt im Mondlicht, das den Boden bedeckte.
»Ich habe Max gesagt, daß ich ihn verlasse.«
»Gut.«
»Nein. Er sagt, als du in München auftauchtest, hätte er gewußt, daß alles so kommen würde.«
Arkadi setzte sich auf. »Vergiß Max.«
»Max hat mich immer anständig behandelt.«
»Morgen verlassen wir Berlin und fahren irgendwohin.«
»Nein, du bist sicher hier. Max will dir helfen. Du weißt nicht, wie großzügig er sein kann.«
Ihre Gegenwart war überwältigend. Ihr Schatten zeichnete sich vor ihm ab, ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Mund. Er roch und schmeckte sie in der Nachtluft. Zugleich wußte er, wie gefährdet seine Beziehung zu ihr war. Wenn sie erfuhr, daß er auch nur den leisesten Verdacht gegen Max hegte, würde er sie im nächsten Augenblick wahrscheinlich schon verlieren.
»Warum magst du Max nicht?« fragte sie.
»Ich bin eifersüchtig.«
»Max sollte eifersüchtig auf dich sein. Er ist immer gut zu mir gewesen. Er hat mir auch bei dem Bild geholfen.«
»Wie?«
»Er hat Rita mit dem Verkäufer
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