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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Aufzugs gebildet. Max ging zur Treppe voran und schob sich am Geländer entlang zwischen den drängenden Menschen hindurch.
    Im dritten Stock rief eine kehlige Stimme: »Irina!« Die übrigen Eintreffenden zeigten ihre Einladungskarten vor, aber Irina wurde gleich von einer Frau mit einem breiten slawischen Gesicht und dunklen Augen unter einer Mähne goldblonder Haare in Empfang genommen. Sie trug ein langes, purpurrotes Kleid, das wie ein Kultgewand aussah. Ihr Make-up verzog sich, wenn sie lächelte.
    »Und deine Freunde.« Sie küßte Max dreimal, nach russischer Art.
    »Sie müssen Margarita Benz sein«, sagte Arkadi.
    »Das hoffe ich. Oder ich bin in der falschen Galerie.« Sie ließ sich von Arkadi die Hand drücken.
    Er überlegte, ob er sie daran erinnern sollte, daß sie sich schon einmal gesehen hatten, Wagen an Wagen, sie mit Rudi, er mit Jaak. Doch dann schob er den Gedanken beiseite.
    Die Galerie nahm das ganze Dachgeschoß ein. Bewegliche Raumteiler waren so aufgestellt worden, daß sie auf einer Seite einen offenen Abschnitt schufen und auf der anderen den Blick auf eine Bühne freigaben. Arkadi nahm aus den Augenwinkeln rechts und links Irina und Max wahr, Kellnerinnen, die argwöhnischen Gesichter der uniformierten Wächter und die besorgten Mienen einzelner Angestellter.
    In der Mitte der Galerie stand eine verwitterte, rechteckige Holzkiste mit abgesplitterten Kanten, doch solide und fachmännisch gebaut. Unter Schmutzflecken konnte Arkadi den verwischten Stempelabdruck eines Adlers mit Hakenkreuz erkennen, des Postsiegels des Dritten Reichs.
    Doch seine Aufmerksamkeit wurde von dem Gemälde in Anspruch genommen, das als einziges an der Wand am anderen Ende des Raumes hing. Es war eine kleine, quadratische, rot bemalte Leinwand. Es war kein Porträt, keine Landschaft, kein eigentliches »Bild«. Es wies keine anderen Farben auf, nur Rot.
    Polina hatte sechs fast gleiche quadratische Holzstücke bemalt, um in Moskau Autos in die Luft zu jagen.
     
    Arkadi kannte das Bild, es war das »Rote Quadrat«, eines der berühmtesten Gemälde der russischen Kunstgeschichte. Es war nicht groß, und es war nicht eigentlich quadratisch, denn die rechte obere Ecke stieg in verwirrender Weise an. Und es war nicht einfach nur rot, als er nähertrat, sah er, daß das Quadrat sich vor einem weißen Hintergrund abzeichnete.
    Kasimir Malewitsch, der Sohn eines Zuckerfabrikanten, war vielleicht der bedeutendste russische Maler des Jahrhunderts und sicherlich der modernste, obgleich er bereits in den dreißiger Jahren gestorben war. Er wurde als bourgeoiser Idealist angegriffen, und seine Bilder verschwanden in den Kellern der Museen, aber mit dem perversen Stolz, mit dem Rußland die Qualität seiner Opfer zu würdigen weiß, kannte jeder Kunstinteressierte Malewitschs Bilder. Wie jeder andere Schüler in Moskau hatte Arkadi ein rotes Quadrat, ein schwarzes Quadrat und ein weißes Quadrat zu malen gewagt - und Mist produziert. Irgendwie hatte Malewitsch, der es als erster getan hatte, Kunst geschaffen, und jetzt fiel die Welt vor ihm auf die Knie.
    Die Galerie füllte sich rasch. In einem angrenzenden Raum hingen weitere Werke der russischen Avantgarde, jener kurzen kulturellen Explosion, die in den letzten Tagen des Zaren ihren Anfang genommen hatte, die die Revolution ankündete, von Stalin unterdrückt und mit Lenin begraben wurde: Skizzen, Keramiken und Bucheinbände, wenn auch keines der Präservative, die Feldman erwähnt hatte. Der Raum war fast leer, da jeder von dem einfachen roten Quadrat auf weißem Grund angezogen wurde.
    »Ich hab dir ja gesagt, daß es wunderschön ist.« Im Russischen waren »schön« und »rot« ein und dasselbe Wort. »Wie findest Du es?«
    »Ich liebe es.«
    »Ich habe gewußt, daß du das sagen würdest.« Das Gemälde warf seinen Widerschein auf Irina. Sie strahlte.
    »Gratuliere.« Max erschien mit Champagner. »Ein voller Erfolg.«
    »Woher kommt das Bild?« fragte Arkadi. Er konnte sich nicht vorstellen, daß das russische Staatsmuseum eines seiner wertvollsten Werke an eine private Galerie auslieh.
    »Geduld«, sagte Max. »Die Frage ist: Was bringt es ein?«
    Irina sagte: »Es ist unbezahlbar.«
    »Mit Rubeln nicht«, sagte Max. »Die Leute hier aber haben Mark, Yen und Dollar.«
    Dreißig Minuten, nachdem die Türen geöffnet worden waren, forderten die Wächter die Besucher auf, vor der Bühne Platz zu nehmen, wo der Videokünstler, den Arkadi bereits auf Tommys Party gesehen

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