Das Labyrinth
der Halle Golfmützen trugen. Neben Borja waren die einzigen russischen Spieler, die Arkadi sehen konnte, eine Mutter und eine Tochter in kurzen Röcken. Beide wurden offensichtlich von einem Golfprofi unterwiesen.
Am anderen Ende der Halle schlugen die Bälle gegen eine grüne Plane, auf der, je nach Höhe, die Entfernungen verzeichnet waren: zweihundert, zweihundertundfünfzig, dreihundert Meter.
»Ich gebe zu, ich zahle ein bißchen drauf«, sagte Borja. »Aber ein zufriedener Kunde ist das Geheimnis allen geschäftlichen Erfolgs.« Er ging vor Arkadi in Pose. »Was meinen Sie? Der erste russische Amateur-Champion?«
»Wenigstens.«
Über Borjas mächtigen Oberkörper spannte sich ein modischer, pastellfarbener Pullover. Sein widerspenstiges Haar lag in glattgekämmten blonden Wellen um ein kantiges, aufmerksames Gesicht mit kristallblauen Augen.
»Sehen Sie es mal so.« Borja nahm einen weiteren Ball aus dem Eimer. »Ich habe zehn Jahre damit zugebracht, für die Armee Fußball zu spielen. Sie wissen ja, wie das geht: eine Menge Geld, eine Wohnung und einen Wagen, solange man fit ist. Dann wird man verletzt, beginnt auszurutschen, und plötzlich steht man auf der Straße. Von ganz oben geht’s über Nacht nach ganz unten. Zum Bier wird man noch eingeladen, aber damit hat sich’s auch schon. Der Lohn für zehn Jahre Einsatz und kaputte Knochen. Alte Boxer, Ringer, Hockeyspieler - überall die gleiche Geschichte. Kein Wunder, daß sie zur Mafia gehen. Oder schlimmer noch, anfangen, American Football zu spielen. Ich hab Glück gehabt.«
Mehr als Glück, dachte Arkadi. Borja war zu einem neuen, erfolgsverwöhnten Menschen geworden. Im neuen Moskau war keiner so populär und wohlhabend wie Borja Gubenko.
Hinter der Driving-Range klingelten die Spielautomaten neben einer mit Marlboro-Postern, Marlboro-Aschenbechern und Marlboro-Lampen ausgeschmückten Bar. Borja stellte sich erneut zum Abschlag auf. Falls das überhaupt möglich war, wirkte er jetzt noch kerniger als zu seiner Zeit als Aktiver. Aber auch schlank wie ein gut erhaltener Löwe. Er holte aus, erstarrte und sah einem Treibschlag nach, der den Ball weit durch die Halle trug.
»Erzählen Sie mir etwas über den Klub hier«, sagte Arkadi.
»Harte Währung, nur Mitglieder. Je exklusiver Sie so was aufziehen, um so mehr Anklang findet es bei Ausländern. Ich werde Ihnen noch ein Geheimnis verraten.«
»Noch ein Geheimnis?«
»Die Lage. Die Schweden haben Millionen in eineAchtzehn-Loch-Anlage vor der Stadt gesteckt. Sie wirdKonferenzräume, ein Kommunikationszentrum undSuper-Sicherheitseinrichtungenhaben, damit Geschäftsleute und Touristen nach Moskau kommen können, ohne wirklich dort zu sein. Das scheint mir idiotisch. Wenn ich irgendwo Geld investiere, will ich auch wissen, wo. Die Schweden sind jedenfalls zu weit von der Stadt weg. Im Vergleich dazu liegen wir zentral, praktisch gegenüber vom Kreml. Und sehen Sie, was wir dazu brauchten - nur etwas Farbe, Kunstrasen, Schläger und Bälle. Wir stehen in Reiseführern und Zeitschriften. Aber das alles war Rudis Idee.« Er musterte Arkadi von oben bis unten.
»Welchen Sport haben Sie früher getrieben?«
»Fußball, in der Schule.«
»In welcher Position?«
»Vor allem als Torwart.« Arkadi hatte nicht die Absicht, Borja gegenüber auf seine sportlichen Leistungen zu verweisen.
»Wie ich. Die beste Position. Du studierst das Spielgeschehen, siehst den Angriff kommen und lernst, dich drauf einzustellen. Entscheidend sind dann nur noch ein, zwei Paßbälle. Und wenn du dich einsetzt, dann ganz, oder? Wer versucht, sich zu schonen, wird gewöhnlich verletzt. Für mich lag im Fußballspielen die Möglichkeit, die Welt kennenzulernen. Ich wußte nicht, was gutes Essen ist, bis ich nach Italien kam. Ich mache immer noch bei einigen internationalen Spielen den Schiedsrichter, nur um mal wieder gut zu essen.«
»Die Welt kennenzulernen« war eine schwache Umschreibung für Borjas Ehrgeiz, dacht Arkadi. Gubenko war in den tristen »Chruschtschow-Mietskasernen« des Langen Teichs aufgewachsen. Im Russischen reimte sich »Chruschtschow« auf »Slum«, so daß die Bezeichnung der Wohnsilos oft für Spott sorgte. Borja war mit Kohlsuppe und Hoffnungen großgeworden, die genauso trübe waren, und jetzt redete er von italienischen Restaurants.
Arkadi fragte: »Was ist Ihrer Meinung nach mit Rudi passiert?«
»Ich glaube, daß das, was mit Rudi passiert ist, eine nationale Katastrophe ist. Er war der
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