Das Labyrinth
wieder. Ich kann nicht warten.«
Sie warteten eine Stunde, ohne eine Antwort zu erhalten. Schließlich ging Arkadi nach unten in die Garage, wo Minin den Boden mit einer Schaufel abklopfte. Die von der Decke hängende Birne war durch eine stärkere ersetzt worden. Die Reifen waren beiseite geräumt und der Größe nach aufgestapelt, Treibriemen und Ölkanister numeriert und mit Schildchen versehen worden. Minins einziges Zugeständnis an die herrschenden Temperaturen bestand darin, daß er Mantel und Jacke abgelegt hatte. Den Hut hatte er aufbehalten. Der Mann im Mond, dachte Arkadi. Als er seinen Vorgesetzten sah, nahm Minin mürrisch Haltung an.
Das Problem mit Minin ist, dachte Arkadi, daß er das typische zu kurz gekommene Kind ist. Nicht, daß er zu klein geraten wäre, aber Minin war das ungeliebte Wesen, das sich von allen verachtet fühlte. Arkadi hätte ihn aus der Mannschaft entfernen können - in seiner Position brauchte er nicht jeden zu nehmen, der ihm zugeteilt wurde -, aber er wollte Minins Haltung dadurch nicht auch noch rechtfertigen. Außerdem haßte er es, häßliche Menschen schmollen zu sehen.
»Chefinspektor Renko, solange die Tschetschenen noch frei herumlaufen, glaube ich, daß ich auf der Straße nötiger gebraucht werde als in dieser Garage.«
»Wir wissen nicht, ob die Tschetschenen mit der Sache zu tun haben, und ich brauche hier einen guten Mann. Mancher andere würde die Reifen schnell unter seinem Mantel verschwinden lassen.«
Humor schien Minin nur zu veranlassen, noch größeren Abstand zu nehmen. »Möchten Sie, daß ich nach oben gehe und Polina im Auge behalte?« fragte er.
»Nein.« Arkadi versuchte es mit menschlichem Interesse.
»Es gibt da etwas, was mir neu ist an Ihnen, Minin. Was könnte das sein?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das da.« An Minins schweißgetränktem Hemd steckte ein Abzeichen, eine rote Fahne aus Emaille. Arkadi hätte es nie bemerkt, wenn Minin nicht seine Jacke ausgezogen hätte. »Ein Parteiabzeichen?«
»Das Abzeichen einer patriotischen Organisation«, sagte Minin.
»Sehr elegant.«
»Wir treten ein für die Verteidigung Rußlands, für die Aufhebung aller sogenannten Gesetze, die den Wohlstand des Volkes schmälern und es einer kleinen Gruppe von Aasgeiern und Geldwechslern ausliefern, für eine Säuberung der Gesellschaft und ein Ende der Anarchie und des Chaos. Haben Sie etwas dagegen?« Es war weniger eine Frage als eine Herausforderung. »Oh, nein. Es steht Ihnen.«
Als er zu Borja Gubenko fuhr, hatte Arkadi das Gefühl, daß sich der Sommerabend wie ein Tuch über die Stadt gelegt hatte. Leere Straßen und Taxis vor den Hotels, deren Fahrer sich weigerten, jemand anderes mitzunehmen als Touristen. Ein einzelnes Geschäft wurde von Käufern belagert, die Läden auf der anderen Straßenseite waren völlig leer. Moskau schien eine ausgeschlachtete Stadt zu sein, ohne Lebensmittel, Benzin und andere Grundversorgungsgüter. Auch Arkadi fühlte sich leer, als fehlte ihm eine Rippe, ein Teil der Lunge oder seines Herzens.
Es war auf eigenartige Weise beruhigend, daß jemand aus Deutschland einen sowjetischen Spekulanten nach dem Roten Platz fragte. Es war wie eine Bestätigung, daß es sie alle überhaupt noch gab.
Borja Gubenko nahm einen Golfball aus dem Eimer, legte ihn auf das Tee, warnte Arkadi vor dem Abschlag, zog den Schläger nach hinten durch, so daß er seinen Körper zu umkreisen schien, reckte sich und trieb den Ball dann auf ein fiktives Grün.
»Wollen Sie’s auch mal versuchen?« fragte er.
»Nein, danke. Ich schau lieber zu«, sagte Arkadi.
Zehn bis zwölf Japaner standen einen Rang höher ebenfalls auf Kunstrasen, zogen ihre Schläger durch und schlugen Bälle ab, die als immer kleiner werdende weiße Punkte lang durch die Fabrikhalle flogen. Das unregelmäßige Abschlagen der Bälle hörte sich an wie Gewehrfeuer, ein durchaus passendes Geräusch, da die Fabrik früher Patronen produziert hatte. Während der Zeit des Weißen Terrors, des Patriotischen Krieges und des Warschauer Pakts hatten hier Arbeiter Millionen und aber Millionen von Messing- und Stahlkernpatronen hergestellt. Um die Fabrik in einen Golfplatz zu verwandeln, waren die Maschinen verschrottet worden, und der Boden hatte einen Anstrich in sattem Grün erhalten. Zwei massive Metallpressen, die man nicht entfernen konnte, wurden durch Baumattrappen abgeschirmt - ein Einfall, der besonders von den Japanern geschätzt wurde, die selbst hier in
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