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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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man vier Paar Handschuhe trägt. Sie machen auch keine Abtreibung, aus demselben Grund. Sowjetische Ärzte würden ihre Patientinnen am liebsten im Abstand von drei Metern behandeln und zuschauen, wie sie platzen. Natürlich gäbe es nicht so viele Babys, wenn nicht auch unsere Kondome wie Gummihandschuhe säßen.«
    »Das stimmt.« Arkadi setzte sich aufs Bett und sah sich um. Obgleich er Rudi seit Wochen verfolgt hatte, wußte er immer noch zuwenig von dem Mann.
    »Er hat keine Frauen hergebracht«, sagte Polina. »Es gibt keine Kekse, keinen Wein, nicht mal Kondome. Frauen hinterlassen alles mögliche - Haarnadeln, Wattebäuschchen mit Make-up, Gesichtspuder auf dem Kissen. Alles ist viel zu ordentlich.«
    Wie lange wollte sie noch auf dem Stuhl stehenbleiben? Ihre Beine waren weißer und muskulöser, als er erwartet hätte. Vielleicht hatte sie früher einmal Tänzerin werden wollen. Schwarze Locken kräuselten sich am Nacken unter ihrem Kopftuch.
    »Sie nehmen sich so ein Zimmer nach dem anderen vor?« fragte Arkadi.
    »Ja.«
    »Sollten Sie nicht schon lange zu Hause sein und mit Ihren Freunden Volleyball spielen oder so was?«
    »Es ist ein bißchen spät für Volleyball.«
    »Haben Sie sich auch die Videobänder vorgenommen?«
    »Ja.« Sie schirmte mit der Hand ein Licht im Spiegel ab.
    »Ich habe Ihnen mehr Zeit in der Pathologie verschafft«, sagte Arkadi. Auch eine Art, eine Frau zu beschwichtigen, dachte er - ihr mehr Zeit im Leichenschauhaus zu verschaffen. »Warum wollen Sie Rudis Wohnung noch einmal untersuchen?«
    »Es gab viel zuviel Blut. Ich habe inzwischen die Laborergebnisse über das Blut im Wagen. Seine Blutgruppe, das wissen wir jetzt zumindest.«
    »Gut.« Wenn sie glücklich war, war er es auch. Er schaltete den Fernseher und den Recorder ein, fütterte ihn mit einer von Rudis Kassetten, drückte auf Play und gleich anschließend den schnellen Vorlauf. Begleitet vom wirren Kauderwelsch des schnell durchlaufenden Bandes, huschten Bilder über die Mattscheibe: die goldene Stadt Jerusalem, die Klagemauer, ein Strand am Mittelmeer, eine Synagoge, ein Orangenhain, Hotelhochhäuser, Kasinos und EL AL. Er ließ das Band langsamer laufen, um den Text zu verstehen, der überwiegend aus Kehllauten zu bestehen schien.
    »Sprechen Sie Hebräisch?« fragte er Polina.
    »Warum sollte ich ausgerechnet Hebräisch sprechen?«
    Die zweite Kassette zeigte in rascher Bildfolge Kairo, Pyramiden und Kamele, einen Strand am Mittelmeer, Segelboote auf dem Nil, einen Muezzin auf einem Minarett, einen Dattelhain, Hotelhochhäuser und Egyptair. »Arabisch?« fragte Arkadi. »Nein.«
    Der dritte Film begann mit einem Biergarten und zeigte dann Kupferstiche des mittelalterlichen München, Luftaufnahmen der wiederaufgebauten Stadt, Touristen auf dem Marienplatz, den Hofbräukeller, Blaskapellen in Lederhosen, das Olympiastadion, das Oktoberfest, ein Rokoko-Theater und einen großen vergoldeten Engel auf einer Säule, die Autobahn, noch einen Biergarten, die Alpen, den Kondensstreifen eines Flugzeuges - vermutlich eine Maschine der Lufthansa. Er ließ das Band bis zu den Alpen zurücklaufen, um dem Bericht zu lauschen, der ebenso schwerfällig wie überschwenglich klang.
    »Sprechen Sie Deutsch?« fragte Polina. Der eingestäubte Spiegel sah aus wie eine Sammlung von Schmetterlingsflügeln, alle markiert von einem ovalen Kringel.
    »Ein bißchen.« Arkadi hatte seine Militärzeit in Berlin verbracht, sich mit Amerikanern unterhalten und auch ein wenig Deutsch aufgeschnappt - mit jener aufsässigen Einstellung, die Russen der Sprache Bismarcks entgegenbringen und die sich nicht nur damit erklären läßt, daß die Deutschen von jeher die Feinde Rußlands gewesen sind. Auch die Zaren hatten jahrhundertelang Deutsche als Zuchtmeister ins Land kommen lassen, ganz zu schweigen von den Nazis, die alle Slawen als Untermenschen betrachteten. So hatte sich ein gewisser nationaler Unwille angesammelt.
    »Auf Wiedersehen«, sagte der Fernseher.
    »Auf Wiedersehen.« Arkadi  stellte das  Gerät ab.
    »Gehen Sie nach Hause, Polina. Besuchen Sie Ihren Freund, gehen Sie ins Kino.«
    »Ich bin fast fertig.«
    Polina hatte bisher mehr über Rudis Wohnung in Erfahrung gebracht - oder erspürt - als Arkadi. Er begriff, daß ihm weniger einzelne Hinweise entgangen waren als vielmehr das Wesentliche. Rudis Angst vor körperlichen Kontakten hatte eine Wohnung entstehen lassen, die abgeschlossen und steril war. Keine Aschenbecher, keine

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