Das Labyrinth
bietet.«
»Und hat Rudi Ihnen auch gesagt, was Sie bieten sollen?«
Borja fixierte Arkadis Augen. »Ich habe Rudi als Fußballfan kennengelernt. Zum Schluß war er so etwas wie ein älterer Bruder. Er wollte mich nur glücklich sehen und hat mir Ratschläge gegeben. Das ist doch kein Verbrechen, oder?«
»Das kommt auf die Ratschläge an,« Arkadi wollte eine Reaktion provozieren.
Borjas Augen blieben klar wie Wasser, unbewegt. »Rudi hat immer gesagt, daß es sinnlos sei, das Gesetz zu brechen. Es müsse neu geschrieben werden. Er besaß Weitblick .«
»Kennen Sie Apollonia Gubenko?« fragte Arkadi. »Meine Frau. Natürlich kenne ich sie gut.«
»Wo war sie in der Nacht, als Rudi starb?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Ein auf ihren Namen zugelassener Mercedes stand auf dem Markt, etwa dreißig Meter von der Stelle entfernt, an der Rudi starb.«
Borja brauchte etwas Zeit, ehe er antwortete. Er warf einen Blick auf den Fernseher, wo ein amerikanischer Panzer durch eine Wüste rollte. »Sie war bei mir. Wir waren hier.«
»Um zwei Uhr morgens?«
»Ich schließe oft erst nach Mitternacht. Ich erinnere mich, daß wir in meinem Auto nach Hause gefahren sind, weil Pollys Wagen in der Werkstatt war.«
»Sie haben zwei Wagen?«
»Polly und ich haben zwei Mercedes, zwei BMW, zwei Wolga und einen Lada. Im Westen legen die Leute ihr Geld in Aktien und festverzinslichen Wertpapieren an. Wir haben Autos. Das Problem besteht offensichtlich nur darin, daß ein hübscher Wagen, sobald er in der Werkstatt steht, von irgendwelchen Leuten zu einer Spritztour entliehen wird. Ich kann jedoch herausfinden, wer es war.«
»Sie sind sicher, daß sie bei Ihnen war? Es wurde nämlich eine Frau in dem Wagen gesehen.«
»Ich behandle Frauen mit Respekt. Polly ist selbständig und mir keine Rechenschaft über jede Sekunde ihrer Zeit schuldig. Aber in der Nacht war sie bei mir.«
»Hat jemand Sie beide hier gesehen?«
»Nein. Das Geheimnis eines gutgehenden Ladens liegt darin, daß man immer in der Nähe der Kasse bleibt, als letzter geht und selbst abschließt.«
»Es gibt viele Geheimnisse im Geschäftsleben«, sagte Arkadi.
Borja beugte sich vor und breitete die Arme aus. Obwohl Arkadi wußte, daß Borja ein großer Mann war, war er erstaunt über die Ausmaße seiner Hände. Er erinnerte sich, wie der Fußballspieler Borja aus dem Tor stürmte, um Strafstöße abzuwehren. Gubenko ließ die Hände auf den Tisch sinken. Seine Stimme war sanft. »Renko?«
»Ja?«
»Ich werde Kim nicht umbringen. Das ist Ihre Aufgabe. Und wenn Sie der Gesellschaft einen Gefallen erweisen wollen, töten Sie Mahmud gleich mit.«
Arkadi blickte auf seine Uhr. Es war acht. Er hatte bereits die ersten Nachrichten versäumt, und seine Gedanken begannen abzuschweifen. »Ich muß gehen.«
Borja begleitete Arkadi durch die Bar. Die Kellnerin mußte einen weiteren diskreten Wink erhalten haben, denn sie eilte mit zwei Packungen Zigaretten herbei, die Borja in Arkadis Jacke steckte.
Mutter und Tochter suchten ihren Weg zwischen den Tischen hindurch. Sie hatten die gleichen feinen Züge und grauen Augen. Als die Frau sprach, lispelte sie leicht. Arkadi war erleichtert, eine Unvollkommenheit an ihr festzustellen.
»Borja, der Lehrer erwartet dich.«
»Der Trainer, Polly. Der Trainer.«
»Armenische Nationalisten haben gestern wieder sowjetische Truppen angegriffen. Zehn Tote und zahlreiche Verletzte sind zu beklagen«, sagte Irina. »Ziel des armenischen Angriffs war ein sowjetisches Militärdepot. Es wurde geplündert, wobei Handfeuerwaffen, Sturmgewehre, Minen, ein Panzer, ein Mannschaftswagen, Mörser und Panzerabwehrraketen in die Hände der Nationalisten gelangten. Der Oberste Sowjet der Moldawischen Republik erklärte gestern, drei Tage nach dem Obersten Sowjet Georgiens, seine Unabhängigkeit.«
Arkadi stellte braunes Brot, Butter und eine Teekanne auf den Tisch und setzte sich mit seinen Zigaretten vors Radio. Eigentlich hätte er in Rudis Wohnung zurückkehren sollen, doch jetzt saß er hier, rechtzeitig zu den von Irina verlesenen Nachrichten, ein Mann ohne Willen. Es waren apokalyptische Nachrichten, aber das spielte keine Rolle.
»Die Unruhen in Kirgisien zwischen Kirgisen und Usbeken setzten sich auch am dritten Tag unvermindert fort. Bewaffnete Mannschaftswagen patrouillierten durch die Straßen von Osch, nachdem Usbeken die in der Stadt gelegenen Touristenhotels besetzt und die örtlichen Büros des KGB mit
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