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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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stützen schienen. Als der Fahrer ausstieg, fiel er fast der Länge nach hin. Er trug einen unmilitärischen Pullover, ein Jackett und auf dem Kopf die Mütze eines Oberfeldwebels. Er war betrunken, und seine Augen waren voller Tränen, die ihm in breiten Bächen bis zur Kinnlade hinunterliefen.
    »Below?« fragte Arkadi, als er aufgestanden war.
    »Arkascha.« Belows Stimme war tief und hohl wie ein Faß. »Wir waren bei deiner Wohnung, aber du warst nicht zu Hause. Dann sind wir in dein Büro, und da warst du auch nicht. Also sind wir noch ein bißchen durch die Gegend kutschiert und haben dich plötzlich hier entdeckt. Und dann bist du weggerannt.«
    Arkadi erkannte die Generäle wieder, obwohl sie nur noch graue und verkümmerte Abbilder der einst großen, schneidigen Offiziere waren, die seinem Vater auf Schritt und Tritt gefolgt waren. Das waren sie, die standhaften Helden der Belagerung Moskaus, die Panzerkommandeure der Offensive in Bessarabien, die Sturmspitzen des Vorstoßes auf Berlin. Alle vier trugen sie den LeninOrden, verliehen für »eine entschlossene Aktion, die entscheidend dazu beitrug, den Verlauf des Krieges zu ändern«. Nur daß Schuksin, der sich immer mit der Reitpeitsche gegen die Stiefelschäfte zu schlagen pflegte, mittlerweile so zusammengeschrumpft und krumm war, daß er kaum noch die Höhe seiner Stiefelschäfte erreichte, und daß Iwanow, der das Privileg beanspruchte, die Aktentasche von Arkadis Vater zu tragen, jetzt gebeugt wie ein Affe ging. Kusnetsow war rund wie ein Kind geworden, während Gul zu einem Skelett abgemagert schien, sein ehemals unbeherrschtes, wildes Wesen reduziert auf einige Haarborsten, die aus Augenbrauen und Ohren hervorstanden. Und obwohl Arkadi sie sein ganzes Leben lang gehaßt hatte - oder eher verachtet, denn sie hatten ihn weniger aus Bosheit als aus Speichelleckerei gedemütigt -, war er in diesem Moment über ihre Hinfälligkeit gerührt.
    Allein mit Boris Sergejewitsch stand es anders. Er war der Fahrer seines Vaters gewesen, Unteroffizier Below, der den jungen Arkadi als Leibwächter zum Gorki-Park begleitet hatte. Später wurde Boris Inspektor Below, obgleich er keine richtige Ausbildung genossen hatte und seine Befähigung sich eher auf die Befolgung von Befehlen als auf deren Erteilung und auf eine unerschütterliche Loyalität beschränkte. Seine Einstellung gegenüber Arkadi war stets von Liebe und Bewunderung bestimmt gewesen. Arkadis Verhaftung und sein Exil waren etwas gewesen, was Below genausowenig begreifen konnte wie, sagen wir, Französisch oder die Quantentheorie.
    Below nahm seine Mütze ab und steckte sie unter den linken Arm, als wollte er sich zum Dienst melden. »Arkadi Kirilowitsch, es ist meine schmerzliche Pflicht, dich davon zu unterrichten, daß dein Vater, General Kiril Iljitsch Renko, gestorben ist.«
    Die Generäle traten näher und schüttelten Arkadi die Hand.
    »Er hätte Marschall werden sollen«, sagte Iwanow.
    »Wir waren Waffenbrüder«, sagte Schuksin. »Ich bin mit deinem Vater nach Berlin marschiert.«
    Gul schwenkte einen zittrigen Arm. »Ich bin mit deinem Vater im gleichen Glied marschiert, wir haben Stalin tausend faschistische Fahnen vor die Füße gelegt.«
    »Unser aufrichtiges  Beileid zu diesem unfaßbaren Verlust.«
    Kusnetsow schluchzte wie eine alte Jungfer.
    »Die Beerdigung ist bereits für Samstag angesetzt«, sagte Below. »Das ist kurz, aber dein Vater hat für alles Anweisungen hinterlassen, wie immer. Er wollte, daß ich dir diesen Brief gebe.«
    »Ich will ihn nicht haben.«
    »Ich habe keine Ahnung, was er enthält.« Below versuchte, einen Umschlag in Arkadis Jackett zu schieben. »Vom Vater für seinen Sohn.«
    Arkadi schob Belows Hand weg. Er war überrascht, wie brüsk er einen guten Freund behandelte und wie tief seine Abneigung gegenüber den anderen war. »Nein, danke.«
    Schuksin wandte sich mit wackeligen Knien dem Kreml zu.
    »Damals wurde die Armee noch gewürdigt. Die sowjetische Macht bedeutete noch etwas. Damals schissen sich die Faschisten in die Hosen, wenn wir uns nur schneuzten.«
    Gul nahm das Thema auf. »Und heute kriechen wir den Deutschen in den Arsch. Das ist die Folge davon, daß wir sie wieder haben hochkommen lassen.«
    »Und der Lohn dafür, daß wir die Ungarn, die Tschechen und die Polen gerettet haben, ist, daß man uns ins Gesicht spuckt.« Die Qual dieser Bemerkung war zuviel für Iwanow, der ehemalige Aktentaschenträger mußte sich am Kotflügel des Wagens

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