Das Labyrinth
suchte in seinen Taschen, aber er hatte Borjas Marlboros in seiner anderen Jacke gelassen. Als er schließlich ein paar Belomor fand, blies Polina das Streichholz aus.
»Sprengstoffe«, sagte sie.
»Wo?«
»Erinnern Sie sich, daß wir in Rudis Wagen Spuren von rotem Natrium und Kupfersulfat gefunden haben? Wie Sie sicher wissen, läßt sich daraus ein Brandsatz herstellen.«
»Chemie war nie meine starke Seite.«
»Was wir nicht verstehen«, fuhr Polina fort, »ist, daß wir weder eine Schaltuhr noch einen Fernauslöser gefunden haben. Also bin ich der Sache nachgegangen. Man braucht keinen Zünder, wenn man rotes Natrium mit Kupfersulfat verbindet.«
Arkadi blickte erneut auf die Töpfe zu seinen Füßen.
RN: rotes Natrium, ein tiefes Karminrot mit ockerfarbenem Einschlag. KS: Kupfersulfat, ein scheußliches Giftgrün, das einen üblen Geruch ausschwitzte. Er steckte seine Streichhölzer wieder ein. »Man braucht keinen Zünder?«
Polina legte das frisch angestrichene Holzbrett auf den Vordersitz des Sil und holte ein anderes hervor, auf dem die grüne Farbe bereits getrocknet war und auf dem sie nun mit Klebeband braunes Packpapier befestigte. »Rotes Natrium und Kupfersulfat sind, für sich genommen, relativ harmlos. Geraten sie jedoch zusammen, reagieren sie chemisch und erzeugen genügend Hitze, um sich selbst zu entzünden.«
»Sich selbst?«
»Aber nicht sofort und nicht unbedingt. Das ist das Interessante an der Sache. Es ist die klassische Binärwaffe - zwei Hälften einer explosiven Ladung, die durch eine Membran voneinander getrennt werden. Ich untersuche gerade verschiedene Materialien wie Leinen, Musselin und Papier auf ihre Wirksamkeit und vor allem darauf, wie lange sie die Reaktion verzögern. Ich habe bereits angestrichene Holzstücke in sechs Wagen deponiert.«
Polina nahm den Pinsel aus einer mit RN4 beschrifteten Dose und begann das Packpapier großzügig mit rotem Natrium anzustreichen. Arkadi bemerkte, daß sie wie ein professioneller Anstreicher mit einem »W« begann. »Wenn es sich sofort entzündete, wüßten Sie’s jetzt«, sagte er.
»Ja.«
»Polina, haben wir nicht Techniker bei der Miliz mit Schutzräumen und Schutzkleidung und sehr langen Pinseln, um so was zu machen?«
»Ich bin schneller und besser.«
Polina arbeitete rasch. Sie achtete darauf, daß keine rote Farbe in die grünen Töpfe tropfte, und hatte in weniger als einer Minute das mit Packpapier bedeckte Brett scharlachrot eingefärbt.
Arkadi sagte: »Wenn also das feuchte rote Natrium das Papier aufweicht und sich mit dem Kupfersulfat verbindet, erhitzen sich beide und zünden?«
»So ist es, einfach gesagt.« Polina zog ein Notizbuch und einen Kugelschreiber aus ihrem Mantel und trug die Farbnummer und die genaue Zeit ein. Mit dem fertigen Brett und dem Pinsel in der Hand begann sie, die Autowracks entlangzugehen.
Arkadi schloß sich ihr an. »Ich glaube immer noch, daß Sie besser daran täten, durch einen Park zu spazieren oder sich von jemandem zu einem Eis einladen zu lassen.«
Die Wagen auf dem Kai waren verbeult, verrostet und leer. Ein Wolga war so deformiert, daß seine Achse zum Himmel wies. Das Steuerrad eines Niwa mit eingedrückter Kühlerhaube ragte durch den Vordersitz. Sie gingen an einem Lada vorbei, dessen Motorblock seltsamerweise im hinteren Teil des Wagens lag. Rund um den Kai standen dunkle Fabriken und Militärdepots. Auf dem Fluß glitt das letzte Tragflügelboot des Abends wie ein lichtfunkelndes Seeungeheuer vorbei.
Polina legte das rote Brett neben das Bremspedal eines viertürigen Moskwitsch und malte eine »7« an die linke Vordertür. Als sie sah, daß Arkadi sich den anderen sechs Wagen am Ende des Kais nähern wollte, sagte sie: »Warten Sie lieber.«
Sie setzten sich in einen Schiguli, dem Windschutzscheibe und Räder fehlten, so daß sich ihnen ein klarer, ungewohnt niedriger Blick auf den Kai und das andere Ufer bot.
»Eine Bombe im Wagen, Kim draußen«, sagte Arkadi. »Ist das nicht ein bißchen viel Aufwand?«
»Bei der Ermordung des Erzherzogs Ferdinand, die den Ersten Weltkrieg auslöste, gab es siebenundzwanzig Terroristen mit Bomben und Schußwaffen, die an mehreren Punkten der Fahrtroute postiert waren.«
»Sie haben sich mit Attentaten beschäftigt? Rudi war nur Bankier und kein Thronfolger.«
»Bei zeitgenössischen Terrorüberfällen, vor allem auf westliche Bankiers, sind Autobomben die Waffe überhaupt.«
»Sie haben sich tatsächlich damit
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