Das Labyrinth
Ringer und Gewichtheber. Zwei grundverschiedene psychologische Typen, dachte Arkadi, Gewichtheber sind Solisten, Grunzvirtuosen, während Ringer es nicht abwarten können, sich ineinander zu verhakeln. Trübes Licht drang durch die weißgestrichenen Fenster, unter denen eine uralte Sprossenwand aufragte. Boxer- und Ringerauszeichnungen hingen neben der Tür sowie ein Schild mit der Aufschrift »Zigaretten vernebeln den Weg zum Erfolg«. Was Arkadi daran erinnerte, daß er unbeabsichtigt die Jacke mit Borjas beiden Marlboropackungen angezogen hatte, endlich ein Grund, das Leben von der freundlichen Seite zu sehen.
»Rudi war also ein Sportfan - haben Sie mich deshalb kommen lassen? Sie hatten einen Pokal für ihn?«
»Ist er wirklich tot?« fragte Antonow.
»Völlig tot.«
»Kontern, kontern!« rief Antonow in den Ring. Zu Arkadi sagte er: »Vergessen Sie den Pokal.«
»Den Pokal vergessen?« Antonow hatte deswegen gleich zweimal im Büro angerufen.
»Was sollte Rudi denn jetzt mit einem Pokal anfangen?«
»Das möchte ich auch gerne wissen«, sagte Arkadi.
»Ich will nicht unhöflich sein, aber ich hätte da eine Frage. Nehmen wir mal an, daß die Person stirbt, die in einer Kooperative die Schecks unterschreibt. Heißt das dann, daß der andere Partner in der Kooperative das Geld kriegt, was noch auf dem Konto liegt?«
»Sie waren Rudis Partner?«
Antonow schnaubte verächtlich durch die Nase, als sei die Frage lächerlich. »Nicht ich persönlich, nein. Der Klub. Entschuldigen Sie. Nicht die Führungsgerade wechseln! Du bist Rechtsausleger, also bleib Rechtsausleger!«
Arkadi begann hellhörig zu werden. »Der Klub und Rudi?«
»Klubs wie dieser hier dürfen Teil einer Kooperative sein. Das ist nur fair, und manchmal hilft es, wenn man einen offiziellen Partner einschaltet, um gewisse Dinge zu betreiben.«
»Zum Beispiel Spielautomaten?« klopfte Arkadi auf den Busch.
Antonow erinnerte sich an seine Stoppuhr und schlug mit dem Gongschläger auf einen Blecheimer. Die Kämpfer lösten sich voneinander, beide nicht mehr in der Lage, die Handschuhe zu heben.
»Es ist völlig legal«, sagte Antonow und senkte die Stimme.
»TransKom Services, mit einem großen K.«
TransKom. Die Kommunistische Jugendliga hatte Rudi die Spielautomaten im Intourist ermöglicht. Für Rudi war dieser schmuddelige, kleine Komsomol-Klub eine Goldgrube gewesen, eine Entdeckung, die für Arkadi zwar ein kleiner Sieg, aber dennoch ohne Bedeutung für seine eigentliche Aufgabe war, Kim zu finden.
»Sie werden sehen, der Klub ist in den Papieren der Kooperative eingetragen. Die Namen der Partner, Aufgabenbereiche, Bankkonten, alles.«
»Sie haben diese Papiere?«
»Rudi hatte das alles«, sagte Antonow.
»Nun, ich glaube, dann hat Rudi es mit sich genommen.«
Tote waren gemein.
In der Leichenhalle waren sie geduldig. An den Wänden standen fahrbare Bahren, und die Leichen unter den Laken warteten mit unerschütterlichem, finalem Gleichmut darauf, seziert zu werden. Ihnen war sogar egal, ob sie wegen fehlenden Formaldehyds zu verwesen begannen. Sie waren nicht beleidigt, wenn sich ein Pathologe eine teure amerikanische Zigarette anzündete, um den Gestank zu ertragen. Rudi lag in einer Schublade, die inneren Organe in einem Plastikbeutel zwischen den Füßen. Polina war fortgegangen.
Arkadi fand sie mitten in einer Schlange von rund tausend Menschen, die im kleinen Park neben der Petrowka-Straße nach roten Rüben anstanden. Das Wetter war umgeschlagen. Feiner Nieselregen ging auf sie nieder. Einige Schirme waren aufgespannt, aber nicht viele, da die Menschen beide Hände für ihre Einkaufstaschen brauchten. Am Kopf der Schlange stapelten Soldaten auf dem aufgeweichten Boden Säcke übereinander. Polina hatte ihren Regenmantel bis zum Kinn zugeknöpft, und Tropfen perlten auf ihren Haaren. In anderen Schlangen standen die Leute nach Eiern und Brot an, eine weitere wand sich um einen Zigarettenkiosk. Uniformierte schritten auf und ab, um sicherzustellen, daß sich niemand vordrängte. Arkadi hatte seine Bezugsscheine nicht bei sich, so daß er vom Angebot keinen Gebrauch machen konnte.
»Ich bin vom Kai hergekommen, um mir Rudi noch mal anzuschauen«, sagte Polina. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß zuviel Blut da war. Ich bin jetzt fertig.«
Arkadi bezweifelte, ob es für Polina jemals zuviel Blut geben könnte, aber er nickte zustimmend. Offensichtlich hatte sie die ganze Nacht gearbeitet.
»Polina, es tut mir leid, was
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