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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Minin.
    Arkadi legte den Hörer auf den Schreibtisch und ging leise hinaus.
     
    Seine Wohnung würde inzwischen überwacht werden. Arkadi fuhr ans Südufer des Flusses, parkte und ging ein Stück zu Fuß, um wach zu bleiben.
    Moskau war schön in der Nacht. Gestern, als er mit Polina im Cafe gesessen hatte, hatte er ein Gedicht der Achmatowa rezitiert. »Ich trinke auf unser zerstörtes Haus, auf den Schmerz meines Lebens, auf unsere gemeinsame Einsamkeit; und auf dich erhebe ich mein Glas, auf lügende Lippen, die uns verraten haben, auf kalttote, erbarmungslose Augen und die harte Wirklichkeit: daß die Welt grausam und roh ist, daß Gott uns nicht erlöst hat.« Polina, die Romantikerin, hatte darauf bestanden, daß er es noch einmal rezitierte.
    Moskau war das zerstörte Haus, eine Stadtlandschaft, die in der Nacht halb verbrannt aussah. Doch das Licht einer Straßenlaterne fiel in diesem Moment durch ein geöffnetes eisernes Tor auf einen Hof mit anmutigen Linden, die rund um einen marmornen Löwen auf einem Sockel standen. Ein anderes Licht beleuchtete eine azurblaue, mit goldenden Sternen übersäte Kirchenkuppel. Als offenbarte sich in Moskau alles, was nicht häßlich war, nur bei Nacht.
    Arkadi war überrascht von seiner eigenen Bitterkeit. Er hatte sich mit der Welt voller Gemeinheit und Korruption abgefunden, solange er seiner Arbeit mit einigem Erfolg nachgehen konnte, wie ein Chirurg, der sich darauf konzentriert, Knochen zu richten, während die Welt um ihn herum zusammenbrach. Seine eigene Rechtschaffenheit war für ihn zu einem Schutzpanzer geworden, zu einer Möglichkeit, die allgemeine Verderbnis um sich herum zu leugnen, aber gleichzeitig auch zu akzeptieren. Erkenne den Widerspruch, sagte er sich - eine Lüge, um genau zu sein. Doch wenn er Rudi und Jaak verloren, Kim noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte und auf Polina einen schlechten Einfluß ausübte - wie gut oder erfolgreich war er dann eigentlich?
    Was wollte er? Weit fort sein. Seit Jahren ertrug er alles geduldig, doch in der letzten Woche hatte er plötzlich gespürt, daß jede Sekunde wie ein weiteres Sandkorn war, das ihm durch die Finger rann - seit jenem Abend, da er Irinas Stimme im Radio gehört hatte.
    Wenn er es so empfand, war er vielleicht in der falschen Stadt. War es möglich, dem, was zerstört war in seinem alten Leben, zu entkommen?
     
    Das Zentrale Telegrafenamt in der Gorki-Straße war vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet. Um vier Uhr morgens war die große Halle bevölkert von Indern, Vietnamesen und Arabern, die Telegramme nach Hause schickten, ebenso wie von gleichermaßen frustrierten Sowjetbürgern, die versuchten, Verwandte in Paris, Tel Aviv oder Brighton Beach zu erreichen.
    Die Luft schmeckte nach Asche, und der Geschmack haftete auf den Zähnen. Schreibende saßen mit leeren Telegrammformularen da, um Nachrichten zu fünf Kopeken pro Wort zu formulieren, Männer zerknüllten mißratene Versuche, Frauen grübelten über sie nach, Familien, einen Kreis von Köpfen bildend - in der Regel braune Köpfe mit hellen Schals - arbeiteten gemeinsam an der Formulierung. Gelegentlich kam ein Wächter vorbei, um sicherzustellen, daß sich niemand auf einer Bank ausstreckte, und die Betrunkenen versuchten alles, ihren Körper in einer sitzenden Position zu halten. Es gab eine Redensart: Ein Russe ist nicht betrunken, solange er sich noch an einem Grashalm festhalten kann. Vielleicht war es ein Naturgesetz, Arkadi war sich nicht sicher. Hinter den hohen Schaltern bewahrten die Beamten eine Haltung stiller Feindseligkeit. Sie führten lange, private Telefongespräche im Flüsterton, drehten dem Publikum den Rücken zu, um Romane zu lesen, oder verschwanden auch schon mal heimlich, um ein Nickerchen zu machen. Ihr verständlicher Groll galt der Tatsache, daß ihre Diensteinteilung es ihnen nicht erlaubte, während der Arbeitszeit Einkäufe zu erledigen. Uhren über den Schaltern zeigten die Zeit an: vier Uhr in Moskau, zwölf Uhr in Wladiwostok, neunzehn Uhr in New York.
    Arkadi stand am Schalter und betrachtete die beiden identischen Fotos, das erste das einer russischen Prostituierten in Israel, das zweite das einer gutgekleideten, deutschen Touristin. Waren beide Identifikationen richtig? Keine von beiden? Eine? Wahrscheinlich hatte Jaak die Antwort gewußt.
    Auf die Rückseite eines Telegrammformulars zeichnete er Rudis Wagen, die ungefähren Standorte von Kim, Borja Gubenko, den Tschetschenen, Jaak und sich

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