Das Labyrinth
natürlich.«
»Das ist mein Fall.«
»Keine Diskussion mehr. Ihr Inspektor ist tot. Minin hat den Fall übernommen. Sie haben keine Leute mehr, und Sie führen keine Ermittlung mehr. Wissen Sie, ich glaube, wir haben Sie überfordert. Der Tod Ihres Vaters muß ein Schock für Sie gewesen sein.«
»Er ist immer noch ein Schock für mich.«
»Ruhen Sie sich aus«, sagte Rodionow. Er half Arkadi in sein Jackett, wobei eine Tasche gegen den Hackblock schlug.
»Mein Gott, eine Antiquität«, sagte Rodionow, als Arkadi die Nagant hervorzog. »Ein Erbstück.«
»Zielen Sie damit nicht auf mich.« Der Oberstaatsanwalt trat einen Schritt zurück. »Niemand zielt auf Sie.«
»Bedrohen Sie mich nicht.«
»Ich bedrohe Sie nicht, ich denke nur nach. Penjagin und Sie waren auf dem Friedhof, um wem die letzte Ehre zu erweisen?« Er klopfte sich mit den Revolver gegen die Stirn, um sich zu erinnern.
»Asojan. Penjagin war der Nachfolger Asojans.« Der Oberstaatsanwalt bewegte sich auf die Tür zu.
»Richtig. Ich bin Asojan nie begegnet. Sagen Sie, woran ist Asojan noch gestorben?«
Aber der Oberstaatsanwalt floh ins Licht des Hofs.
Auf dem Weg in die Stadt parkte Arkadi hinter dem Wohnhauskomplex am Dynamo-Stadion, wo die blaue Lampe einer Milizwache eine Nachtbar zu verheißen schien. Auf der Straße davor hatten ein Betrunkener und seine Frau eine familiäre Auseinandersetzung. Er sagte etwas, und sie schlug ihm ins Gesicht. Er sagte noch etwas, und sie schlug ihm abermals ins Gesicht. Er lehnte sich in ihre Schläge und schien allem, was sie sagte, zustimmen zu wollen. Ein anderer Betrunkener, gut gekleidet, drehte sich im Kreis herum, als wäre einer seiner Füße auf dem Bürgersteig festgenagelt.
Auf der Wache selbst half der diensthabende Beamte, einen Betrunkenen zu beruhigen, der, bis zur Hüfte entblößt und durch Methylalkohol erblindet, mit seinen tätowierten Armen gegen die Wände schlug und einen Chor von Betrunkenen anführte, die aus den Einzelzellen in sein Gebrüll einstimmten. Als er an dem Beamten vorbeiging, zeigte ihm Arkadi seinen Dienstausweis, ohne sich erst die Mühe zu machen, ihn zu öffnen. Obgleich ihm nichts von dem, was er trug, paßte, machte er in dieser Umgebung immer noch eine gute Figur. Oben, wo alle Türen grau gepolstert waren, hingen an einem Schwarzen Brett Fotos von afghanischen Kriegsveteranen.
Im >Lenin-Zimmer< - dem politischen Schulungsraum - schnarchten an langen Tischen Milizionäre, die Köpfe mit Handtüchern bedeckt.
Jaaks Schlüssel öffnete einen mit Linoleum ausgelegten, gelbgetünchten Raum. Das Zimmer, das mehreren, zu unterschiedlichen Zeiten arbeitenden Männern als Arbeits- und Aufenthaltsraum diente, war nur spärlich möbliert: zwei einander gegenüberstehende Schreibtische, vier Stühle, vier gewaltige, noch aus der Vorkriegszeit stammende Safes. Ein Autoposter, ein Fußballposter und ein Foto von einer Weltausstellung klebten an der Wand. Eine offene Tür in der Ecke führte in ein Pissoir, dessen Geruch den Raum durchwebte.
Auf den Schreibtischen standen drei Telefone: eine Außenleitung, eine Gegensprechanlage und eine Direktverbindung mit der Petrowka-Straße. Die Schubladen enthielten verblichene Fotos von gesuchten Personen, Wagenbeschreibungen und zehn Jahre alte Kalender. Das Linoleum zwischen den Tischbeinen war von Zigaretten verbrannt.
Arkadi setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte immer geglaubt, daß Jaak eines Tages zurück nach Estland fahren würde, um als glühender Nationalist wiedergeboren zu werden und heroisch die junge Republik zu verteidigen. Er hatte geglaubt, daß Jaak die Fähigkeit hatte, ein anderes Leben zu führen. Nicht mehr das, das er hier geführt hatte. Doch die Unterschiede zwischen ihm und Jaak waren wohl nicht so groß, ob tot oder lebendig.
Der erste Anruf, den er tätigte, galt seinem eigenen Büro. Der Hörer wurde bereits beim zweiten Läuten abgenommen.
»Minin am Apparat.« Arkadi legte auf.
Ein Außenstehender hätte sich fragen können, warum Minin nicht zum Lenin-Pfad-Kollektiv gefahren war. Arkadi wußte aus Erfahrung, daß es zwei Arten von Ermittlungen gab: eine, die Informationen sammelte, und eine andere - mit längerer Tradition -, die sie vertuschte. Die zweite war tatsächlich die schwierigere, denn sie erforderte jemanden, der den Schauplatz des Verbrechens untersuchte, und darüber hinaus jemanden, der die Informationen im Büro zusammenhielt. Als Arkadis Vorgesetzter
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