Das Labyrinth
München. Fabrikdirektoren und Bankiers, die von den Deutschen geschult werden, eine Tanztruppe aus Georgien. An wem sind Sie interessiert?«
»Das kann ich nicht sagen.«
Arkadi hatte angenommen, daß die Vertreter des Außenministeriums gelernt hätten, sich eines größeren Repertoires aufmunternder Mienen zu bedienen, kleiner Gesten, die zeigten, daß sie durch und durch Mensch waren. Platonow jedoch schien sich mit einem einzigen, feindseligen Blick zu begnügen, den er auch dann noch unverwandt auf Arkadi gerichtet hielt, als er ein Kästchen öffnete und sich eine Zigarette nahm.
»Damit wir uns richtig verstehen: Mir ist egal, hinter wem Sie her sind oder ob in Moskau ganze Familien hingeschlachtet werden. Kein Mord ist so wichtig wie der Erfolg dieses Konsulats. Die Deutschen geben nicht Hunderte von Millionen Mark an Mörder. Wir müssen fünfzig Jahre einer verhängnisvollen Geschichte wiedergutmachen. Wir wollen ruhige, friedliche Beziehungen, die zu Darlehen und Handelsabkommen führen, die allen Familien in Moskau das Überleben ermöglichen. Das Letzte, was wir hier wollen, sind Russen, die in den Straßen Münchens Hetzjagden veranstalten.«
»Das verstehe ich.« Arkadi versuchte, kooperativ zu sein.
»Sie haben keine offizielle Funktion hier. Wenn Sie mit der deutschen Polizei Kontakt aufnehmen, wird man uns unverzüglich verständigen, und wir werden ihnen sagen, daß Sie nur als Tourist in der Stadt sind.«
»Ich bin immer schon an Bayern interessiert gewesen, dem Land des Bieres.«
»Wir behalten Ihren Paß hier. Sie haben ja noch Ihren Personalausweis. Das heißt, daß Sie nirgends hinfahren und kein Hotel buchen können. Wir bringen Sie in einer Pension unter. In der Zwischenzeit werde ich mich darum bemühen, daß sie nach Moskau zurückgerufen werden - schon morgen, wenn möglich. Ich schlage vor, daß Sie Ihre Ermittlungen vergessen. Gehen Sie ins Museum, kaufen Sie Geschenke ein, und trinken Sie Ihr Bier. Amüsieren Sie sich.«
Arkadis Unterkunft lag über einem türkischen Reisebüro, einen halben Block vom Bahnhof entfernt. Sie bestand aus einem Zimmer mit Bett und Matratze, einem Schrank, einer kleinen Kommode, einem Stuhl, einem Tischchen und einer winzigen Kochgelegenheit samt Kühlschrank. Die Toilette und ein Duschraum lagen am Ende des Flurs.
»Die dritte Etage wird von Türken bewohnt«, sagte Federow und zeigte nach oben. »Die erste von Jugoslawen. Arbeiten alle bei BMW. Vielleicht sollten Sie sich ihnen anschließen.«
Die Lichtschalter funktionierten. Das Licht des Kühlschranks ging an, als Arkadi die Tür öffnete, und in den Ecken lagen keine Kakerlakeneier. Als sie das Gebäude betreten hatten, war ihm aufgefallen, daß es nach Desinfektionsmitteln und nicht nach Urin roch.
»Das ist hier also das Paradies. Nicht ganz so großartig, wie Sie es sich vorgestellt haben, oder?« fragte Federow.
»Es ist offenbar lange her, daß Sie in Moskau gewesen sind«, sagte Arkadi.
Er öffnete das Fenster. Sein Blick fiel auf den hinteren Teil des Bahnhofs und die Schienen, in der Sonne schimmernde Stahlbänder. Das Seltsame war, daß er seinen Orientierungssinn verloren hatte, als befände er sich in einer anderen Zeitzone, in einem völlig anderen Teil der Welt, dabei hatte der Flug nur vier Stunden gedauert.
Federow war an der Tür stehengeblieben. »Übrigens haben Sie für Deutschland einen ziemlich unpassenden Namen. Renko, meine ich. Ich hab von Ihrem Vater gehört. Er war vielleicht in Rußland ein Held, für die Leute hier, zumindest die, die ihn kennen, ist er ein Schlächter.«
»Nein, er war auch in Rußland ein Schlächter.«
»Ich meine nur, vielleicht wäre es besser für Sie, hierzubleiben und die Pension überhaupt nicht zu verlassen.«
»Der Schlüssel?« Arkadi streckte die Hand aus, als Federow sich zum Gehen anschickte.
Mit einem Achselzucken gab Federow ihm, was er verlangte. »Ansonsten würde ich mir keine Sorgen machen, Inspektor. Das, was Russen in Deutschland am wenigsten zu befürchten haben, ist, ausgeraubt zu werden.«
Als er allein war, setze sich Arkadi auf die Fensterbank und rauchte eine Zigarette. Es tat gut, sich vor Antritt einer Reise hinzusetzen und zu sammeln. Warum also nicht auch bei der Ankunft? Um ein leeres, unverschlossenes Zimmer formell in Besitz zu nehmen. Mit einer übelriechenden russischen Zigarette. Unten auf den Schienen sah er einen schnittigen rotschwarzen Zug in den Bahnhof einfahren. Der Lokomotivführer
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