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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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zurück, als hätte er den Ruf eines unbekannten Vogels vernommen. »Was hätten Sie in München zu suchen?«
    »Boris Benz«, sagte Arkadi. Er nannte nicht den Namen der Frau, da er sich ihrer Identität nicht sicher war.
    Rodionows Körper versteifte sich im anschließenden Schweigen wie der eines Mannes, der aus dem Tritt gekommen war.
    Albow blickte zu Boden, dann lächelte er mit einem Ausdruck des Erstaunens, in den sich Bewunderung mischte.
    »Wissen Sie, es liegt ihm im Blut«, sagte er zu Rodionow.
    »Als die Deutschen einmarschierten und bis zu den Toren Leningrads vorrückten und Stalin Millionen von Männern verlor und die ganze Rote Armee sich aufzulösen begann und den Rückzug antrat, gab es einen Panzerkommandanten, der keinen Schritt zurückwich. Die Deutschen dachten, sie hätten General Renko in die Enge getrieben. Dabei haben sie nicht begriffen, daß er froh war, sich hinter ihren Linien zu befinden, und je blutiger und wilder es zuging, desto besser. Sein Sohn ist aus gleichem Holz geschnitzt. Fühlt er sich in die Enge getrieben? Nein. Da steht er, und Gott allein weiß, wo er als nächstes auftaucht.«
    »Es gibt einen Direktflug nach München morgen um sieben Uhr fünfundvierzig«, sagte Arkadi.
    »Und Sie glauben wirklich, daß das Büro des Oberstaatsanwalts Sie ausreisen läßt?« fragte Albow.
    »Ich bin mir völlig sicher«, sagte Arkadi. Er war sich sicher, seit er Rodionows Reaktion auf Boris Benz’ Namen gesehen hatte, ein instinktives Zusammenfahren, das die Wut und die Angst eines von seinen Schlächtern festgehaltenen Schweins zum Ausdruck brachte. Bis dahin hätte der Name nichts zu bedeuten brauchen, aber jetzt wußte Arkadi, wie hoch Boris Benz gehandelt wurde.
    »Selbst wenn das Ministerium es wollte, steht es nicht in unserer Macht«, sagte Rodionow. »Für Ermittlungen im Ausland ist die Staatssicherheit zuständig.«
    »Sie haben doch erst kürzlich gesagt, daß wir jetzt, wo wir Mitglied von Interpol sind, direkt mit den Kollegen im Ausland zusammenarbeiten.«
    »Selbst ich könnte nicht morgen ausreisen, wenn ich wollte«, sagte Rodionow. »Ich müßte mir ein Visum beschaffen und auf Anordnung warten. Das dauert Wochen.«
    »Es gibt zwölf Zimmer im Zentralkomitee. Die Leute dort sind mit nichts anderem beschäftigt, als Pässe und Visa auszustellen. Lufthansa-Flug 84«, sagte Arkadi. »Denken Sie daran, die Deutschen sind pünktlich.«
    »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte Albow. »Wenn Sie nicht als offizieller Beauftragter des Oberstaatsanwalts reisen, sondern als Privatperson. Wenn das Ministerium einen Paß ausstellen kann und Sie amerikanische Dollar oder deutsche Mark haben, kaufen Sie einfach ein Flugticket und fliegen los. Tatsächlich haben wir gerade ein Konsulat in München eröffnet, mit dem Sie Kontakt aufnehmen könnten. Die Frage ist nur, wo Sie die harte Währung für Ihr Ticket auftreiben.«
    »Die Antwort ist .?« fragte Arkadi.
    »Ich könnte Ihnen das Geld leihen. Sie könnten es mir in München zurückzahlen.«
    »Das Geld muß vom Oberstaatsanwalt kommen«, sagte Arkadi.
    »Dann wird er es beschaffen«, sagte Albow. »Wieso?« protestierte Rodionow.
    »Weil dieser Fall heikler ist, als wir zuerst dachten«, sagte Albow. »Ausländische Investoren, besonders in Deutschland, sind äußerst empfindlich gegenüber den Skandalen des neuen sowjetischen Kapitalismus. Wir wollen Klarheit über jeden, der mit der Sache zu tun hat, selbst wenn wir ihn noch nicht kennen. Und weil wir unserem Chefinspektor, selbst wenn er Phantomen nachjagt, keine Steine in den Weg legen wollen. Außerdem wissen wir nicht alles, was Renko weiß, und welche übereilten Schritte er für nötig hält, um sich seine Unabhängigkeit zu bewahren.«
    »Er hat nie gesagt, was er weiß.«
    »Weil er sich unter Druck gesetzt fühlt, er ist ja nicht dumm. Er hat Ihre Tasche mit Telegrammen vollgestopft, und Sie haben es nicht einmal gemerkt. Ich unterstütze Renko. Ich bin mehr und mehr von seiner Anpassungsfähigkeit beeindruckt. Doch ich frage mich«, sagte Albow, und er wandte sich wieder an Arkadi, »ich frage mich, ob Sie sich der Tatsache bewußt sind, daß Sie sämtliche Vollmachten verlieren, sobald Sie aus dem Flugzeug steigen. In Deutschland sind Sie nur noch ein gewöhnlicher Bürger - ja, weniger als das: ein sowjetischer Bürger. Für die Deutschen sind Sie nichts als ein Flüchtling, für die sind alle Russen Flüchtlinge. Außerdem verlieren Sie hier Ihre Glaubwürdigkeit.

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