Das Labyrinth
die am pseudogriechischen Haus der Kunst vorbeiführte, begann Arkadi zu erkennen, wo sie waren. Links lag die Königinstraße, wo Benz wohnte. Stas fuhr am mächtigen Nationalmuseum vorbei, bog schließlich auch selbst links ab, folgte dem dicht mit Bäumen gesäumten Fluß, der Isar, hielt sich dann rechts und ordnete sich an der nächsten Ampel links ein. Zum erstenmal bemerkte Arkadi ein Schild mit der Aufschrift »Englischer Garten«. Stas bog in eine Einbahnstraße ein, an deren linker Seite die roten Sandplätze eines Tennisclubs lagen. Eine hohe weiße Mauer begrenzte die andere Seite. Vor der Mauer erhob sich eine dichte Reihe dunkler Buchen, die den Blick auf das abschirmten, was sich hinter ihr befand. Fahrräder lehnten an einem Stahlgeländer, das den Rinnstein entlangführte.
Stas sagte: »Wenn ich morgens aufwache, frage ich Laika: >Was ist das Verückteste, was ich heute tun kann?< Ich glaube, heute kann es interessant werden.«
Stas steuerte in eine der Parkbuchten vor dem Tennisplatz. Er ergriff seine Aktentasche, stieg aus, schloß den Wagen ab und führte Arkadi über die Straße zu einem stählernen Tor, das von Kameras und Spiegeln bewacht wurde. Dahinter erstreckte sich ein Komplex weißgetünchter Gebäude mit weiteren Kameras an den Wänden.
Wie jeder, der in der Sowjetunion aufgewachsen war, verband Arkadi mit Radio Liberty zwei einander widersprechende Vorstellungen. Zeit seines Lebens hatte die Presse den Sender als Agitationszelle des amerikanischen Geheimdienstes und seiner Handlanger beschrieben. Doch zugleich wußte jeder, daß Radio Liberty die verläßlichste Informationsquelle war, ging es um verschwundene russische Dichter oder nukleare Störfälle. Obwohl Arkadi selbst schon des Verrats bezichtigt worden war, hatte er ein ungutes Gefühl, als er Stas jetzt begleitete.
Er hatte fast erwartet, amerikanische Marineinfanteristen anzutreffen, aber die Wärter in der Eingangshalle des Senders waren Deutsche. Stas zeigte seinen Dienstausweis vor und gab einem der Männer seine Aktentasche, der sie zwischen die Bleiwände eines Röntgengeräts schob. Ein anderer Mann winkte Arkadi an einen Tisch, der von dickem Panzerglas geschützt wurde. Der Tisch war größer, die Sessel waren weicher, ansonsten unterschied sich die Atmosphäre der Eingangshalle nicht von den staatlichen Gebäuden in der Sowjetunion: Internationales Design bot durchreisenden Pazifisten und bombenlegenden Terroristen ein vertrautes Ambiente.
»Ihr Paß?« fragte der Mann.
»Ich habe ihn nicht bei mir«, sagte Arkadi.
»Sein Hotel hat ihn noch«, half Stas. »Die fabelhafte deutsche Tüchtigkeit, von der wir immer hören. Herr Renko ist ein äußerst wichtiger Besucher. Das Studio wartet bereits auf ihn.«
Widerwillig akzeptierte der Wächter einen sowjetischen Führerschein und schob Arkadi einen Besucher-Ausweis hin. Stas entfernte die Beschichtung und heftete ihn an Arkadis Brust. Eine Glastür summte, und sie betraten einen Flur mit beigefarbenen Wänden.
Arkadi blieb stehen, bevor sie weitergingen. »Warum tun Sie das?«
»Ich habe Ihnen gestern schon gesagt, daß ich es nicht mag, wenn der Blitz den Falschen trifft. Nun, Sie sehen mir ganz so aus, als hätte er Sie bereits voll erwischt.«
»Bekommen Sie keine Schwierigkeiten, wenn Sie mich hierherbringen?«
Stas zuckte mit den Schultern. »Sie sind hier nur ein weiterer Russe. Der Sender ist voll von Russen.«
»Und wenn ich einem Amerikaner begegne?« fragte Arkadi.
»Ignorieren Sie ihn. Genau das, was wir alle tun.«
Der Boden des Korridors war mit einem dicken amerikanischen Teppich ausgelegt. Halb im Stechschritt, halb humpelnd, führte Stas Arkadi an Glasvitrinen vorbei, die die geschichtlichen Ereignisse illustrierten, über die Radio Liberty in die Sowjetunion berichtet hatte: die Berliner Luftbrücke, die Kubakrise, Solschenizyn, die Besetzung Afghanistans, das koreanische Linienflugzeug, Tschernobyl, der Zusammenbruch der baltischen Staaten. Alle Fotos waren mit englischen Bildbeschreibungen versehen. Arkadi hatte das Gefühl, durch die Geschichte zu gleiten.
Wenn die Flure ordentlich und von amerikanischer Sauberkeit waren, so wirkte Stas’ Büro anarchisch wie eine russische Reparaturwerkstatt: Schreibtisch und Drehstuhl, ein Aktenschrank aus Holz, ein Tonschneidetisch und ein Sessel. Das war die Bodenschicht. Auf dem Schreibtisch standen eine mechanische Schreibmaschine, ein Textverarbeitungsgerät, ein Telefonapparat,
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