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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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tat.«
    Das Bier kam zuerst. Arkadi trank andächtig einige Schlucke, da es so anders war als das saure, trübe Bier in der Sowjetunion.
    Stas leerte sein Glas mit einem Zug und stellte es vor sich auf den Tisch. »Ach ja, das Emigrantenleben. Allein unter den Russen gibt es vier Gruppen: New York, London, Paris und München. Nach London und Paris zieht es die Intellektuellen. In New York kann man ein ganzes Leben verbringen, ohne je ein Wort Englisch zu sprechen. Aber die Gruppe in München ist wirklich hinter der Zeit zurück: Hier finden Sie die meisten Monarchisten. Und dann gibt’s noch die Dritte Welle.«
    »Was ist die Dritte Welle?«
    Stas sagte: »Die letzte Welle der Flüchtlinge. Mit denen die alten Emigranten absolut nichts zu tun haben wollen.«
    Arkadi sprach aus, was er vermutete. »Sie meinen die Juden?«
    »Richtig.«
    »Hier ist es wie zu Hause.«
    Nicht ganz wie zu Hause. Obgleich die Kantine von slawischen Lauten erfüllt war, war das Essen deutsch und erweckte die Vorstellung, sich sofort in Blut, Knochen und Energie zu verwandeln. Während er aß, sah sich Arkadi aufmerksamer um. Die Polen trugen, wie er bemerkte, Anzüge ohne Krawatte und den Ausdruck von Aristokraten, die vorübergehend knapp bei Kasse waren. Die Rumänen bevorzugten einen runden Tisch, um besser konspirieren zu können. Die Amerikaner saßen getrennt von allen anderen und schrieben Postkarten wie pflichtbewußte Touristen.
    »Sie hatten tatsächlich Oberstaatsanwalt Rodionow als Gast hier?«
    »Als Repräsentant des Neuen Denkens, des politischen Maßes und verbesserten Klimas für ausländische Investitionen«, sagte Stas.
    »Haben Sie Rodionow etwa persönlich eingeladen?«
    »Ich persönlich würde ihn nicht mal mit Handschuhen anfassen.«
    »Wer dann?«
    »Der Direktor des Senders ist ein großer Anhänger des Neuen Denkens. Er glaubt an Henry Kissinger, Pepsi Cola und Pizza vom Fließband. Keine Sorge, wenn Sie mir nicht ganz folgen können. Sie haben eben noch nie für Radio Liberty gearbeitet.«
    Die Kellnerin brachte Stas ein weiteres Bier. Mit ihren blauen Augen und dem kurzem Rock sah sie aus wie ein überarbeitetes kleines Mädchen. Arkadi fragte sich, was sie von ihren Gästen denken mochte, diesen sonnengebräunten Amerikanern und streitsüchtigen Slawen.
    Ein großer Georgier mit den Locken und der Habichtnase eines Schauspielers war an ihren Tisch getreten. Sein Name war Rikki. Er nickte Arkadi mit leerem Gesichtsausdruck zu, als er ihm vorgestellt wurde, und begann dann unverzüglich, laut zu lamentieren.
    »Meine Mutter kommt zu Besuch. Sie hat mir nie verziehen, daß ich mich abgesetzt habe. Gorbatschow ist ein reizender Mann, sagte sie, nie würde er Demonstranten mit Tränengas auseinandertreiben lassen. Sie hat ein Reuebekenntnis für mich aufgesetzt, das ich unterschreiben soll, um mit ihr zurückzufahren. Sie ist so gaga, daß sie mich sofort ins Gefängnis bringen würde. Sie läßt sich die Lunge untersuchen, während sie hier ist, dabei sollte man ihr Gehirn durchleuchten. Und wißt ihr, wer außerdem kommt? Meine Tochter. Sie ist achtzehn.
    Heute treffen sie ein. Meine Mutter und meine Tochter. Ich liebe meine Tochter, das heißt, ich glaube, daß ich sie liebe, da ich sie noch nie gesehen habe. Gestern abend haben wir miteinander telefoniert.« Rikki steckte eine Zigarette an der anderen an. »Ich habe natürlich Fotos von ihr, aber ich habe sie gebeten, sich zu beschreiben, damit ich sie am Flughafen erkenne. Kinder verändern sich schließlich dauernd. Wie es scheint, hole ich jemanden ab, der wie Madonna aussieht. Als ich anfing, mich zu beschreiben, sagte sie: »Beschreib lieber dein Auto.<«
    »Das sind Augenblicke, in denen wir den Wodka vermissen«, sagte Stas.
    Rikki fiel in tiefes Schweigen.
    »Sagen Sie: Wenn Sie Sendungen nach Georgien ausstrahlen, denken Sie dann oft an Ihre Mutter und Ihre Tochter?« fragte Arkadi.
    »Natürlich. Wer, glauben Sie, hat sie denn eingeladen?« sagte Rikki. »Ich bin nur überrascht, daß sie die Einladung angenommen haben. Und ich bin überrascht, wie sie sich verändert haben.«
    »Hört sich ja an wie eine Mischung aus Wiedergeburt und Hölle, wenn einen die Liebsten besuchen kommen«, sagte Arkadi.
    »Genauso, ja.« Rikki hob den Blick zur Uhr an der Wand.
    »Ich muß gehen. Stas, spring bitte für mich ein. Schreib, was du willst. Du bist ein reizender Mensch.« Er erhob sich und ging mit schweren Schritten zur Tür.
    »Ein reizender Mensch«,

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