Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
Und jetzt hau ab, du Arsch.
Ich lege das Band ins Gerät ein und spule vor. 20:30 Uhr erscheint auf dem Timecode. Die Hotellobby und der Rezeptionstresen mit den zwei Empfangsdamen sind zu sehen. Eine davon ist die Blondine, die mir am Vorabend den Schlüssel ausgehändigt hat. Leute durchqueren die Lobby, die meisten ohne Koffer. Manche lassen sich den Schlüssel geben, andere gehen direkt zu den Aufzügen. So geht das fast dreißig Minuten lang. Ein für diese Uhrzeit ungewöhnlich reges Treiben ist zu beobachten.
Um 21:04 Uhr taucht Nora in der Hotellobby auf. Zielstrebig kommt sie von links ins Bild. Ohne sich an die Rezeption zu wenden, geht sie direkt zum Lift. Sie wartet ein paar Sekunden, bis einer der Aufzüge im Erdgeschoss ankommt.
Ich lasse diese Passage immer wieder ablaufen. Nora kommt zum fünften Mal ins Bild, steht am Aufzug, drückt den Knopf und wartet. Die Aufzugstür öffnet sich, sie geht hinein, greift in ihre Handtasche und holt etwas heraus. Die Aufzugstür schließt sich, und der Lift setzt sich in Bewegung. Was holt sie aus der Tasche? Womöglich ihr Handy. Wahrscheinlich ruft sie Ehrenfeld an, um ihn wissen zu lassen, dass sie gleich bei ihm sein wird. Vermutlich ist es so verabredet. Auf jeden Fall scheint sie genau zu wissen, was sie tut. Routiniert und professionell. Kaum eine Minute später dürfte sie an die Zimmertür im zehnten Stock geklopft haben. Dr. Stefan Ehrenfeld öffnet. Sie vergnügen sich. Nach dem Geschlechtsakt raucht Nora noch eine Zigarette. Um genau 22:06 Uhr taucht sie erneut am Aufzug auf und verlässt das Hotel so zielstrebig, wie sie gekommen war.
22:06 Uhr. Das sind 66 Minuten im Hotel, davon höchstens 64 bei Ehrenfeld im Zimmer. Ich drücke die Stopp-Taste. Dem Obduktionsbericht zufolge trat der Tod Ehrenfelds zwischen 23:00 Uhr und Mitternacht ein. Entweder hat Nora ihn schwer verletzt zurückgelassen, oder nach ihr hat – wie von mir im Zimmer durchgespielt – noch jemand anders Ehrenfeld besucht, um das anzurichten, was am nächsten Morgen vom Zimmermädchen vorgefunden wird.
Ich drücke erneut auf »Wiedergabe«.
Und dann sehe ich es: Teile des Ziffernblatts der Wanduhr in der Hotellobby neben dem Aufzug. Der kleine Zeiger steht nicht waagerecht, sondern nach oben verschoben. Wenn es neun wäre, müsste er waagerecht stehen, aber es ist nach einundzwanzig Uhr. Der kleine Zeiger steht auf dem ersten Strich nach der Neun, der große Zeiger auf der Eins. Der Timecode auf dem Band hingegen zeigt 21:04 Uhr an. Auf dem Timecode ist es genau eine Stunde früher als auf der Uhr an der Wand.
Ich lasse wieder den Hotelmanager kommen.
»Was ist denn nun schon wieder?« Seine Laune ist noch schlechter als zuvor.
»Fällt Ihnen etwas auf?«, frage ich und deute auf das Standbild des Monitors.
»Machen wir jetzt Rätselraten?«
»So was Ähnliches.«
»Was soll das?«
Ich tippe mit dem Finger auf den kleinen Zeiger der Wanduhr auf dem Bildschirm und gleichzeitig auf den eingeblendeten Timecode am unteren Rand des Monitors. Der Hotelmanager scheint nicht zu verstehen.
»Hier zeigt die Digitalanzeige 21:04 Uhr an. Richtig?«
»Richtig.«
»Und hier?« Ich deute auf die Uhr an der Wand. »Sehen Sie die Zeiger?«
»Ich bin ja nicht blind.«
»Und was sehen Sie?«
»Zehn.«
»Exakt. Dabei ist der große Zeiger nicht gänzlich zu sehen. Ich nehme mal an, er steht kurz vor der Eins. Also ist es 22:04 Uhr.«
Der Hotelmanager ist sich offenbar noch immer nicht im Klaren, was das Ganze eigentlich soll.
»Also?«, frage ich. Er verzieht das Gesicht, als würde er damit in den Kreis der Hauptverdächtigen geraten.
»Eine von beiden Uhren stimmt nicht.«
Er furcht die Stirn. »Wie kann das sein?«
»Winterzeit!«, sage ich triumphierend.
»Hä?«
»Kann es sein, dass die Uhr des Timecodes noch die Winterzeit anzeigt, während die Wanduhr in der Hotellobby auf die Sommerzeit umgestellt wurde?«
»Kann sein«, sagt er lapidar.
»Kann sein?« Mein Ton verschärft sich. »Ich gebe Ihnen genau fünf Minuten, egal ob Winter oder Sommer, und Sie sagen mir, welche Zeit im Timecode angezeigt ist, verstanden?«
Ohne ein Wort verlässt der Hotelmanager den Raum. Schon nach zwei Minuten ist er wieder zurück. »Winterzeit«, sagt er. Es hört sich an wie »Wichser«. Dann verschwindet er postwendend wieder.
Das ist es! Nora kam genau eine Stunde später als angenommen zu Ehrenfeld. Was sie allerdings noch weniger entlastet. Dennoch bestätigt es meine Annahme,
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