Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
Verruchten, die Durchgeknallten spielen. Das war nicht ihr Rollenprofil, wie die Regisseure befanden. Sie sah nicht wild aus, schon gar nicht durchgeknallt. Sie sah aus wie die brave Tochter.
»Du bist eine brave Tochter«, sagte er.
»Na und?«, entgegnete sie. »Trotzdem würde ich gerne mal was ganz anderes spielen. Einen Charakter, bei dem ich mich mal richtig gehen lassen kann, verstehst du?«
»Das kommt schon noch«, sagte er und nahm sie in den Arm. »Du brauchst nur ein bisschen Geduld.«
Und dann kam die Marie, Büchner, Woyzeck . Und mit ihr die Chance.
»Deine Chance«, sagte er, und sie jubelte, als hätte sie das große Los gezogen. Sie hüpfte im Zimmer auf und ab und fiel ihm um den Hals.
»Endlich.« Sie freute sich auf die Rolle. Und hatte von da an gar keine Zeit mehr, auch nicht für ihn.
»Lange kommt nichts, und dann alles auf einmal«, sagte sie. Er rätselte, was sie damit meinte.
Erst als er ein Telefonat mit Doreen belauschte, wusste er, wie das zu verstehen war: Der Jubel war nicht nur der Rolle geschuldet, auch der Liebe. Die bald zur enttäuschten Liebe werden sollte.
Ein paar Wochen später sah er sie heulend am Fenster stehen.
»Was ist?«, fragte er.
»Nichts. Geht schon wieder.«
Doch auch in der Zeit davor schien sie völlig durch den Wind zu sein. Ob es die anstrengenden Proben im Theater waren, die Meinungsverschiedenheiten mit dem Regisseur oder der Bastard, der ihr über den Weg gelaufen war und ihr den Kopf verdreht hatte, wusste er nicht.
Ab und zu war Doreen nach der Probe bis spät in der Nacht bei ihr. Sie redeten viel. Manchmal, das Ohr an die Wand gedrückt, hörte er sie weinen.
Nach der Generalprobe war sie völlig am Ende. Einen Tag später, kurz vor der Premiere, war es noch schlimmer. Sie wollte sich krankmelden, die Premiere ausfallen lassen. Alle redeten auf sie ein. Auch er.
Der Intendant sagte: »Das ist normal, die Nervosität. Die erste große Rolle. Das legt sich, wenn sich der Vorhang hebt.«
Sie sah grauenvoll aus. Sie zitterte. Ihr Blick war unruhig und ständig rastlos.
»Benütz es«, sagte der Regisseur und versuchte ihr Mut zu machen. »Das ist auch die Marie.«
Er nahm sich frei, kümmerte sich um sie. Er gab ihr Baldrian, zuletzt ein starkes Beruhigungsmittel. Auch er redete ihr gut zu. Auch er war überzeugt, dass nur das Premierenfieber für ihren desolaten Zustand verantwortlich war.
Erst als die Karre ganz im Dreck steckte, erfuhr er, was der eigentliche Grund war.
Ich Idiot , dachte er, wie kann man nur so blöd sein.
Erst als der Artikel in der Zeitschrift erschien, die vernichtende Kritik, und sie daraufhin zusammenbrach, vertraute sie sich ihm an. Aber da war es schon zu spät. Da konnte er die Katastrophe nur noch verwalten und darauf hoffen, dass es wieder besser wurde.
Es wurde nicht besser. Es wurde schlechter. Sie ging nicht mehr ins Theater, ließ sich krankschreiben. Die Rolle wurde umbesetzt. Von da an verließ sie kaum noch die Wohnung. Sie lag den ganzen Tag bei zugezogenen Vorhängen im Bett und fing an, sich zu ritzen. Sie aß nichts mehr und wurde immer dünner. Am Ende aß sie nur noch Chips. Mit Wasabi. Anfangs nahm er sie ihr weg, doch irgendwie gelang es ihr, immer wieder an große Mengen von dem grünen Zeug zu kommen. Sie aß es wie Joghurt, als wollte sie sich innerlich verbrennen.
Es trieb ihn langsam in den Wahnsinn. Er war verzweifelt. Er konnte nicht mit ansehen, wie sie schleichend zugrunde ging, wie sie an sich selbst zerbrach. Als sie sich weigerte, psychologische Hilfe anzunehmen, musste er handeln. Er ließ sie nicht mehr aus den Augen und redete unentwegt auf sie ein. Bis sie schließlich einwilligte und sich in die Charité in Berlin-Mitte einweisen ließ. Sie kam in die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.
SIE
»Krokodile können fliegen«, sagt sie. Sie sieht aus, als hätte auch sie lange schon den Boden unter den Füßen verloren.
Die Ärztin scheint wenig beeindruckt. »Und Sie?«, fragt sie. »Was denken Sie darüber?«
Sie weiß nicht, was sie denken soll. Und worüber. Sie hat einmal mehr den Gesprächsfaden verloren. Alles läuft durch sie hindurch. Jeder Gedanke zerplatzt wie eine Seifenblase, ehe er zu Ende gedacht ist. Und jedes Mal knallt es dabei in ihrem Kopf.
»Das wird schon wieder«, sagt die Ärztin. Sie hat es immer wieder beteuert, ohne in stumpfen Optimismus zu verfallen.
Sie hat das Gefühl, die Ärztin ist die Einzige, die sie ernst nimmt. Die ihr nichts
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