Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
steht nun auf einer kleinen Lichtung, an einer Stelle, wo alle Blumen umgeknickt und platt gedrückt sind, und findet ein Frauenunterhöschen, das sie an das ihrer Mutter erinnert. Eine Handbreit davon entfernt liegt eine bunte Illustrierte mit Fotos, auf denen die Leute so nackt und schutzlos aussehen, wie sie es nie zuvor gesehen hat. Daneben hängt etwas über einem abgeknickten Stängel, das eklig aussieht und in das ein Knoten geknüpft ist, der an einen Bauchnabel erinnert. Als sie älter ist, schleudert sie selbst einmal, an einem lauen Sommerabend inmitten von Sonnenblumen, ein zugeknotetes Kondom hoch in die Luft. Wie ein abgeschossener Teebeutel landet es auf einer der Blüten.
»Kitty?«
Sie liegt nicht mehr in den Armen der Ärztin. Deren Kittel ist wieder irgendein Kittel, der Waschmittelgeruch irgendein Waschmittelgeruch. Sie ist wieder die Patientin, und die Ärztin ist die Ärztin.
»Schauen Sie mich an«, sagt die Ärztin.
Kitty hebt die Achseln und nickt, als wollte sie die Blüten abschütteln, die Sonnenblumen, die Vergangenheit. Was ihr nicht gelingen will. Wieder verschwindet sie inmitten der Stängel, sucht nach einem Ausgang, einem Ausweg, springt hoch, blickt über die Blüten hinweg und sieht nichts als eine unendliche Weite und einen blauen Himmel mit Wolken, die lachen und dabei ein Gesicht ergeben. Ein lachendes Gesicht. Sein Gesicht, das fragt, ob sie mit ihm bis ans Ende der Welt gehen wolle. Ja, sagt sie, aber nur, wenn ich beim Laufen keine Blasen bekomme. Er küsst sie, und ehe sie losgehen können, liegen sie auf der Erde. Die Sonnenblumenstängel knicken und knacken und knallen unter ihnen wie das Feuerwerk an Silvester.
Dann liegen sie auf dem Rücken, die verschränkten Arme unter dem Kopf, und schauen den vorbeiziehenden Gesichtern am Himmel hinterher – die Mutter, ihr unbekannter Vater, Hajo, Doreen – und reden von einem Land, in dem sie eine Zukunft haben, das die Zukunft ist. Bis es dunkel wird. Nacht.
»Kitty?«
»Krokodile können fliegen«, sagt sie.
»Na ja, fliegen ist vielleicht ein bisschen übertrieben«, sagt die Ärztin ebenso ernst. »Aber Sie haben recht, sie können springen.«
Sie ist wieder da, zurück aus der Vergangenheit und erstaunt über die Ärztin, die noch immer vor ihr sitzt.
»Manche können springen«, sagt die Ärztin, als wäre sie selbst die Patientin. »Im Norden Australiens, in der Nähe des Kakadu National Parks. Fünf Meter große Krokodile springen aus dem Wasser in die Luft und schnappen nach Fleischbrocken, die an einer Leine hängen.«
Kitty scheint erleichtert.
»Ich hab’s gesehen«, sagt die Ärztin. »Mit eigenen Augen. Sie springen hoch, und man glaubt, es ist alles gar nicht wahr.«
ICH
Berlin-Mitte, Leipziger Straße. Von außen sieht es aus wie ein schlecht beleuchtetes Bürohaus. Es ist auch ein Bürohaus, den Klingelschildern nach zu urteilen. In der elften Etage steht »Die andere Seite« neben einem Klingelknopf. Über der Tür ist eine Überwachungskamera installiert.
Ich klingle. Noch ehe ich mein Gesicht dem Objektiv zuwenden kann, ertönt der Türsummer.
Der Aufzug entlässt mich in eine Bar, die aus einem langen Tresen besteht, an dem aber nur eine Handvoll Gäste lehnen und auf das ebenso lange Spirituosenregal vor ihnen starren. Hinter dem Tresen steht ein Barkeeper, der seinen durchtrainierten Körper präsentiert. Er schaut mich gleichgültig an.
»Ich suche Greta«, sage ich, noch ehe er das Wort an mich richten kann.
»Die ist im SM -Bereich. Hier, die Tür durch.« Er zeigt auf eine unscheinbare Tür neben dem Tresen.
Die anderen Gäste an der Bar sehen mir hinterher, als würden sie darüber nachdenken, ebenfalls hinter der Tür zu verschwinden.
Ich tauche in eine fremde Welt ein. Überall fluoreszierendes Licht. Rot. Blau. Ansonsten ist es schwarz. Um mich herum Menschen in Lack- und Lederklamotten mit viel nackter Haut und Halbmasken, die an den Karneval von Venedig erinnern. Ich sehe Gitter an der Wand, an die Männer gekettet sind. Mehrere Käfige in unterschiedlichen Größen, in denen halbnackte Frauen wie Tiere sitzen. Ketten, die von der Decke hängen. Böcke, Liegen, Bänke, Kreuze. Eine Frau geht an mir vorüber. Sie führt einen Mann an einer Leine, der sich auf allen vieren bewegt, mit einem Beißknebel im Mund. In der einen Hand hält die Frau die Leine, in der anderen eine Gerte aus Leder, mit der sie immer wieder auf seinen nackten Hintern eindrischt. Seltsamerweise erregt
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