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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Die gelben Dreiecke (die Juden) spielten gegen die roten Dreiecke (die politischen Gefangenen). Es schien auch noch eine Mannschaft aus grünen Dreiecken zu geben, das waren die Kriminellen. Das Niveau war hoch, aber das Tempo niedrig. Gespielt wurde in richtiger Sportkleidung, mit kleinen Holztoren, einem Lederfußball und einem Schiedsrichter. Hinter der Seitenlinie entdeckte ich sogar einige SS -Männer auf Bänken. Sie verfolgten den Wettkampf oder musterten ihre Umgebung mit einem herablassenden Lächeln. Die anderen Zuschauer befanden sich in einem sicheren Abstand zu dieser »Ehrentribüne«.
    Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Das Lager lehrte mich, noch das Unglaubliche zu glauben.
    Doch ich musste weiter, ich hatte noch etwas zu erledigen. Nach einem kurzen Fußmarsch passierte ich ein großes, rotes Ziegelgebäude mit einem dicken Schornstein: Krematorium I. Nummer II und III standen woanders, wenn auch in Waldnähe am Rand des Außenlagers. Neben dem Eingang zum Bunker befand sich ein sorgfältig geharktes Beet mit rosa, lila und weißen Hyazinthen. Wegen des alles beherrschenden Gestanks von den Leichenverbrennungen konnte man sie bestimmt nur riechen, wenn man ganz nahe daran vorbeilief.
    Das Gelände war durch elektrischen Stacheldraht abgeriegelt. Ein paar Gefangene standen im Freien und rauchten. Sie gehörten zum Sonderkommando. Ich wusste nicht genau, wer sie waren oder was sie taten. Sie hatten so eine merkwürdig aggressive, enthemmte Art, und in ihren Kleidern hing ein abscheulicher Geruch. Das hatte ich zumindest von den Leichenträgern gehört, die auch nicht gerade dufteten.
    Ich betrat das Birkenwäldchen. Tote Zweige knackten unter meinen Pantinen. Die Äste waren zu dick, die Zweige zu dünn. Nach langem Suchen entdeckte ich auf dem Boden einen Stock mit dem richtigen Durchmesser. An seinem oberen Ende brach ich ein paar Zweige und dünne Äste ab. Mit ein bisschen Fantasie war das ein Spazierstock.
    Gegen vier füllte sich die Baracke. Schlomo steckte seinen Kopf ins Zimmer und erzählte begeistert, dass sogar Gefangene aus anderen Teilen des Lagers zu meiner Premiere gekommen seien.
    Als Garderobe diente mir sein Büro. Ich hatte Angst vor der Reaktion der Deutschen, gleichzeitig ließ mich das Lampenfieber vor der Vorstellung aufatmen. Kein Komiker hält es lange ohne Publikum aus.
    Ich trat in meiner Schlafanzughose und der schwarzen Weste auf, die Schlomo mir beschafft hatte. Dazu trug ich schwarze, spitze Lederschuhe mit Eisendraht anstelle von Schnürsenkeln. Mit etwas Schuhwichse malte mir Schlomo ein Chaplin-Bärtchen, das breiter war als das Hitlers. Der Stock war gerade genug, um als Spazierstock durchzugehen, und ausreichend krumm und knotig, um komisch zu wirken. Um Punkt vier Uhr herrschte Stille. Das hatte ich mir von Schlomo ausbedungen: dass Totenstille in der Baracke herrschte. Ich wartete ein paar Sekunden, holte tief Luft und stieß die Tür auf.
    Erst ließ ich den Spazierstock sehen. Dann verließ ich das Zimmer. Nach einigen Schritten tat ich so, als stolperte ich über einen Stein. Ich rückte meinen Hut zurecht und sah mich missbilligend um. Jemand lachte. Ich tat so, als hörte ich etwas, und legte die Hand hinters Ohr. Sah aber demonstrativ durch das Publikum hindurch, um deutlich zu machen, dass ich mich allein wähnte. Es war voller als erhofft. Menschentrauben standen im Gang, sämtliche Pritschen waren überbelegt. Ich hatte so viel Publikum wie in einem kleinen Theater.
    Überrascht blickte ich nach oben und zur Seite. Langsam ließ ich meine Umgebung auf mich wirken, als käme ich aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt. Das war mein Leitmotiv: Charlie Chaplin ist allein in der Baracke und weiß nicht, wo er sich befindet. Ich füllte meine Rolle voll und ganz aus. Ich lief um den Ofen herum und stocherte vorsichtig mit meinem Stock in der Ascheschublade. Unschlüssig stand ich vor dem Betonschornstein. Ich hatte Massel: Es fiel Kohlenstaub herunter. Ich machte einen erschrockenen Satz rückwärts.
    Wieder leises Gelächter.
    Mit schräg gelegtem Kopf schaute ich nach oben. Anschlie ßend fiel mein Blick auf die verschlissene Lagerkleidung auf der Bank, dem Heizkörper. Ich ging darauf zu. Mit meinem Spazierstock hob ich eine schmuddelige Hose hoch. Vorsichtig hielt ich sie an meine Nase. Angewidert zuckte ich zurück und wedelte mit dem Stock, sodass das Kleidungsstück herunterfiel. Ich schüttelte mich.
    Ich hatte die Aufmerksamkeit des

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