Das Lachen und der Tod (German Edition)
einem mörderischen Arbeitstag nicht einfach in Ruhe lassen? Ein großer Mann war gerade dabei, seine Jacke zu entlausen. Als er mich sah, lachte er kurz auf. Andere begannen leise und langsam zu klatschen. Ich fasste wieder Mut. Für diejenigen, die am Vortag nicht dabei gewesen waren, erklärte ich kurz den Einsatz: ein Lachen. Nicht mehr und nicht weniger.
Mein polnischer Dolmetscher Tadeusz stand bereits neben mir. Ein Mann trat vor, ein Italiener namens Roberto. Er genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, konnte sich aber sprachlich schlecht mitteilen. Man verstand nur, dass er und sein Arbeitskommando vor einiger Zeit gezwungen worden waren, sich im Krankenrevier Blut abnehmen zu lassen.
»Warum?«, fragte ich. »Für wen?«
»Blut! Für Wehrmacht. Fronte orientale. Contra i russi! «
»Wenn ich das richtig verstehe, versuchen die Deutschen also mit jüdischem Blut den Krieg gegen die Russen zu gewinnen?«
Er starrte mich kurz an, seine Miene hellte sich auf, und er sagte heftig nickend: »Si! Si!«
Während ich mich bei Roberto bedankte, machte er noch eine elegante Verbeugung nach links, nach vorn und nach rechts.
Ich schaute in den Saal. »Blut für die Deutschen. Ich weiß nur nicht, ob wir das ausgesprochen schmerzhaft oder ausgesprochen komisch finden sollen.«
»Ausgesprochen schmerzhaft«, rief ein Mann empört. Er stand kerzengerade im Gang. Mit seinen schmalen Lippen und der hohen Stirn hatte er etwas Schulmeisterliches an sich. Wahrscheinlich war er tatsächlich Lehrer.
»Finden Sie das witzig?«, schimpfte er. »Sollen wir darüber lachen?«
»Darf man wissen, wer Sie sind?«
»Ich heiße Appel und komme aus Holland.«
»Meneer Appel, ich entscheide nicht, was witzig ist und was nicht. Darüber entscheiden wir gemeinsam.«
»Heute gab es allein in meinem Baukommando drei Opfer. Die Leute wurden brutal ermordet. Es waren gute Menschen, Freunde! Und Sie stehen hier und reißen Witze? Glauben Sie wirklich, dass wir dazu aufgelegt sind? Sie sollten sich schämen!«
Auf einmal spürte ich wieder die Anstrengungen dieses Tages.
»Wir lachen, um nicht wahnsinnig zu werden«, sagte ich. »Um uns einen Rest geistiger Gesundheit zu bewahren.«
»Ich würde eher sagen, dass es krank ist, hier Späße zu machen, während so viele Menschen um uns herum leiden müssen. Sie haben keinerlei Respekt!«
»Den haben wir sehr wohl!« Ein Mann mit Habichtsaugen und grauen, buschigen Brauen trat vor. »Sie täuschen sich, Herr Appel. Humor ist nichts weiter als die strikte Weigerung, der Tragödie das letzte Wort zu überlassen.« Wie ein professioneller Redner wandte er sich an sein Publikum. »Davon bin ich zutiefst überzeugt.«
Spontaner Applaus brandete auf. So viel Beifall hatte es noch nie gegeben. Meneer Appel zog Leine.
»Guten Abend«, sagte ich abwartend.
»Guten Abend«, antwortete der Mann mit fester Stimme. »Ich heiße Simon Lewenthal und komme aus Wien.«
»Sie finden deutliche Worte, können gut formulieren. Sie wirken wie ein Gelehrter. Ein Intellektueller.«
»Wenn Sie darunter jemanden verstehen, der über das Leben, die Menschen und darüber nachdenkt, warum sie tun, was sie tun, über die Gesellschaft und wie sie unter den gegebenen Umständen am besten organisiert oder besser gesagt reorganisiert werden sollte, bin ich in der Tat ein Intellektueller.«
»Ein Sozialist.«
»Ein Sozialist, ein Intellektueller und Jude. Und jetzt sage ich Ihnen mal was: Ich weiß nicht, woran sich die Nazis am meisten gestört haben. Aber wenn sie, wie bei mir, gleich dreimal rot sehen, hat man nicht gerade gute Karten.«
»Können Sie uns etwas Komisches erzählen?«
»Natürlich. Ich habe einen Witz über Witze auf Lager.«
»Sie wetteifern also auch um das Brot oder die Wurst für den besten Lacher. Ist das der Grund, warum Sie mitmachen?«
»Ich betrachte diesen Preis als nicht uninteressanten Nebeneffekt.«
»Dann hören wir Ihnen mal zu, Meneer Lewenthal.«
Er wandte sich wieder ans Publikum. »Meine Herren, ich weiß nicht, ob ich gut erzählen kann, aber ich kenne einen alten Witz, der den Charakter der Juden gut wiedergibt. Denn so groß das Entsetzen auch ist – das Lachen wird uns nie vergehen.«
Direkt vor mir in der ersten Reihe saßen zwei Muselmänner auf der Kante einer Pritsche. Sie schliefen nicht dort, das wusste ich, sie waren extra für mich vorgerückt. Aber ich hatte sie noch nicht lachen sehen. Sie schienen nichts mehr empfinden zu können.
Lewenthal streckte die
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