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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Saals. Des Saals, denn genauso fühlte es sich an. Ich schaute zu einer Pritsche hinüber und bückte mich, sodass ich einem rappeldürren Mann direkt ins Gesicht sah. Ich erschreckte mich zu Tode, als stünde ich vor einem Gespenst, was im Grunde gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war.
    Jetzt erntete ich einen guten Lacher. Meinen ersten.
    Der Mann lachte dümmlich. Ich grinste zurück, verklemmt und gezwungen, und nahm höflich den Hut ab, während ich weiter grinste, und das rein intuitiv noch eine ganze Weile. Zweimal hob ich kurz die Brauen, als wollte ich ihn umgarnen. Dann begann ich ihn zu untersuchen. Ich zupfte an der Haut seines Arms und zog an seinem Ohr, etwas zu fest natürlich. Ungläubig wandte ich den Kopf ab und schlug mir die Hand überrascht vor den Mund.
    Schlomo konnte ich nicht entdecken – wahrscheinlich hatte er sich ganz nach hinten gestellt. Ein Kapo war weniger klug gewesen: Er stand mit seiner gelben Armbinde direkt am Rand und machte sich wichtig. Ich fixierte ihn und wandte den Blick nicht mehr von ihm ab. Da merkte er, dass er an einem ungünstigen Platz stand und lachte nervös. Doch es war bereits zu spät. Ich drehte mich zum Publikum und ließ ein falsches Lachen hören.
    Seit Langem hatte ich mich nicht mehr so euphorisch gefühlt.
    Ich lief, nein, schritt vor ihm auf und ab. Plötzlich machte ich einen stocksteifen Rücken, hob das Kinn wie die SS -Männer und begann ihn zu inspizieren. Ich fummelte an seiner Armbinde herum und kontrollierte, ob das Gelb abfärbte. Zur Sicherheit wischte ich meine Hand an seiner Schulter ab und bleckte die Zähne.
    Bei Affen ist das ein Zeichen für Aggression.
    Dasselbe galt für mich.
    Ich zerrte an seinem Gürtel, holte seine schwarzlederne Peitsche aus dem Futteral und betrachtete die Waffe von allen Seiten. Ich ließ sie auf meine Hand niedersausen und wandte mich dem Häftling zu, den ich gerade untersucht hatte. Ich schnitt wieder eine Grimasse in Richtung Publi kum, ging auf mein Opfer zu und drohte ihm mit Schlägen. Es wich erschrocken zurück. Ich grinste. Danach schlug ich mir erneut auf die Hand, diesmal viel zu fest. Meine Mimik erstarrte. Jetzt wagte das Publikum zu lachen. Ich drehte mich drohend zu dem Kapo um. Der versuchte Haltung zu bewahren, allerdings ohne großen Erfolg.
    Ich weidete mich regelrecht an ihm.
    Er war einen halben Kopf größer als ich. Ich zeigte verstimmt auf meine verletzte Hand, baute mich vor ihm auf und berührte mit meiner Nase sein Kinn. Plötzlich machte ich einen Buckel wie eine Katze, woraufhin er erschrocken zusammenfuhr. Schnell trat ich einen Schritt zurück, kicherte und zog vor ihm den Hut, damit ich mir nicht seine Wut zuzog und die Kontrolle behielt. Ich bedankte mich mit einer höflichen Verbeugung beim Publikum und zeigte auf den Kapo, um ihn in den Applaus mit einzubeziehen. Ich wollte verhindern, dass er seinen Unmut an den anderen Häftlingen ausließ.
    Ich ging breit grinsend rückwärts und winkte zum Abschied mit dem Spazierstock. Kurz sah ich mich verdutzt um, als sei mir diese Umgebung nach wie vor unbegreiflich, und zog mich dann ins Zimmer des Blockältesten zurück. Ganz zum Schluss ließ ich meinen Stock noch einmal sehen und schloss die Tür.
    Stille. Anschließend wurde auf Fingern gepfiffen, und es ertönte ein schwacher Applaus, der zu den geschwächten Gestalten passte – sie konnten einfach nicht lauter klatschen. Ich wartete kurz und kehrte dann ohne den Stock, aber mit der Melone in der Hand als Ernst Hoffmann zurück. Verbeugte mich und genoss in aller Bescheidenheit, den Beifall so wie sich das gehört. Sogar der Kapo klatschte, was blieb ihm auch anderes übrig? Auf einer der Pritschen saß ein lächeln der Muselmann. Ein Wunder war geschehen! Er ließ die Beine baumeln wie ein Kind, das auf einem zu hohen Stuhl sitzt.
    Ich bat die Anwesenden um Ruhe und verlangte einen Dolmetscher vom Deutschen ins Polnische. Ein Junge trat zögernd vor. Er hieß Tadeusz.
    »Ich freue mich, Sie hier zu sehen«, sagte ich. »Es ist mir eine Ehre. Und ich möchte nicht, dass es bei dieser einen Vorstellung bleibt.«
    Tadeusz übersetzte. Ich schätzte die Anzahl der Polen auf zwanzig Prozent. Mit meinem Dolmetscher erreichte ich den Großteil der Barackeninsassen. Es machte mir Spaß, die Menschen zu siezen.
    »Was halten Sie davon, wenn wir eine neue Lagerregel einführen? Jeden Tag ein Lacher? Nach dem Abendappell erzählt jemand einen Witz, einen komischen Vorfall, eine

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