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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Erinnerung oder eine Anekdote mit dem einzigen Ziel, dass wir darüber lachen können. Der Beste bekommt vom Blockältesten ein Stück Brot oder Wurst, ganz nach dem Motto ›Überleben mit Humor‹.«
    Alle schwiegen. Sie trauten mir nicht – sie trauten nichts und niemandem.
    »Soll ich den Anfang machen? Wer möchte einen Witz hören?«
    Einige nickten zustimmend. Ich legte einfach los.
    »Hitler kommt zu einem Rabbi und fragt ›Warum verläuft der Krieg im Moment nicht nach Wunsch?‹
    ›Das liegt an den jüdischen Generälen‹, sagt der Rabbi.
    Der Führer sieht ihn erstaunt an. ›Jüdische Generäle? Die haben wir doch gar nicht?‹
    ›Nein, aber die anderen.‹
    Leises Gelächter, mehr nicht.
    Ich bat um einen ersten Beitrag. Ein etwa siebzehnjähri ger Junge wurde von einigen Kameraden nach vorn geschubst. Er hatte eine Schnittwunde am Hals. Mit gesenktem Kopf trat er neben mich und stellte sich als Janusz Kowalski, Nummer 85928 vor.
    »Dass ich in dieses Lager geschickt wurde, liegt daran, dass ich Sinn für Humor hatte«, sagte er. Der Saal reagierte amüsiert. Ich schwieg und ließ die Stille für uns arbeiten. Janusz sah mich an.
    »Da sieht man’s mal wieder«, sagte ich. »Humor bringt die Menschen zusammen.« Die Ironie verfing nicht. Ich fragte, was er angestellt habe.
    »Im Gemeindehaus war ein Hitlerporträt aufgehängt worden«, sagte er. »Ich hab mit meinen Freunden um eine Flasche russischen Wodka gewettet, dass ich aus Hitlers schmalem Bärtchen einen Walrossbart mache.«
    »Und, hast du’s getan?«
    Er nickte.
    »Der Führer sah also aus wie Stalin?«
    Er nickte erneut.
    »So etwas ist nicht ungefährlich, Janusz.«
    Er lachte laut auf. Das dürfte ihm inzwischen ebenfalls klar geworden sein.
    »Wie war der Wodka?«
    »Den habe ich noch gut. Ich wurde erwischt. Nach einer Woche im Gefängnis schickte man mich hierher.«
    Ich dankte ihm, und Janusz bekam kurzen Applaus. Ich bat um einen weiteren Beitrag.
    Nichts.
    »Kennt jemand einen Witz?«, fragte ich.
    Zögernd kam ein mageres Männlein auf mich zu, Ariel aus Antwerpen. Er legte sofort los, als hätte er keine Zeit zu verlieren. »Ein Mann wird von der SS gehenkt. Der Offizier bietet ihm eine letzte Zigarette an. ›Nein danke‹, sagt der Mann. ›Ich versuche, das Rauchen aufzugeben.‹«
    Überall nur ein müdes Lächeln.
    Er kehrte schnell wieder an seinen Platz zurück. Das war ein alter Witz, doch ich war froh, dass er mitgemacht hatte.
    »Noch jemand?«
    Im Saal blieb es still. Als über den Gewinner abgestimmt wurde, lag Janusz mit Abstand in Führung. Mir fiel auf, dass so gut wie jeder die Hand hob. Das bestätigte mich darin, dass die Anteilnahme groß war. Janusz würgte sein Brot auf einmal hinunter.
    Ich war müde. Genauso müde wie damals, als ich versuchte, meinem alten Herrn das Leben etwas leichter zu machen. Jetzt stand ich tatsächlich in einem Saal voller Väter.
    13
    Während ich auf der Baustelle grub und schaufelte, war ich in Gedanken stets bei Helena: Ich stellte mir vor, wo wir nach dem Krieg wohnen, wie viele Kinder wir haben und wie unsere Söhne und Töchter heißen würden. Fromme, durch nichts gerechtfertigte Wünsche. Außerdem suchte ich in meinem Gedächtnis nach Stoff für unsere Abende. Welche Witze, Sketche und Lieder waren erfolgreich gewesen? Und das so lange, bis ich von Müdigkeit übermannt wurde, meist so gegen Mittag. Von da an musste ich meine ganze Kraft zusammennehmen, um den Tag zu überstehen.
    Und die Deutschen? Die waren ihrerseits höchst kreativ, wenn es darum ging, sich Schikanen auszudenken, mit denen sie ihre nichtarischen Mitmenschen so tief wie möglich erniedrigen konnten. Die Hundebrigade hatte die deutschen Schäferhunde scharfgemacht und auf unsere gestreiften Jacken abgerichtet. Mit geifernden Mäulern und irren Blicken griffen die Bestien uns an, schnappten nach unseren Geschlechtsteilen. Ein SS -Mann rief seinen Hund ›Mensch‹. Als er das Tier auf einen Häftling hetzte, rief er, »Mensch, fass den Hund!« Seine Kollegen lachten sehr darüber.
    Am Abend nach der Premiere trat ich erneut auf. Es war voll in der Baracke. Der Ofen brannte – ich roch brennendes Birkenholz. Wie immer war die lange Betonbank mit feuchten Hosen, Jacken, Hemden und Fußlappen bedeckt. In den Gesichtern vieler Häftlingen entdeckte ich Trauer, Lethargie und Argwohn. War es nicht naiv, Menschen, in denen alles abgestorben war, durch ein Lachen wiederbeleben zu wollen? Sollte ich sie nach

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