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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Körper neben den weißen, fleischigen, behaarten Rücken von Schweinz und deckte beide mit der Rosshaardecke zu. Ich betrachtete das Paar. Jetzt noch schnell den Arm um Schweinz’ Bauch legen. Perfekt!
    Das Kleiderbündel warf ich auf den Boden unter das Bett. Den Arztkittel mit der Spritze hängte ich zurück an den Haken im Gang. Dann kletterte ich wieder auf meine Pritsche.
    Am nächsten Morgen weckte mich eine harte deutsche Stimme.
    »Verdammt! Was hat das zu bedeuten?«
    Ich öffnete ein Auge. Doktor Levi und ein SS -Offizier standen an dem Bett, in dem Schweinz und der tote Muselmann lagen. Der Kapo wurde langsam wach und blinzelte ins Licht. Auf einmal saß er senkrecht auf seiner Pritsche. Der Muselmann fiel mit dem Kopf zwischen seine Beine. Schweinz schrie entsetzt auf und stieß den leblosen Körper von sich.
    »Unzucht zwischen Männern?«, schnaubte der SS -Mann.
    »Nein …«, stammelte Schweinz. »Niemals!«
    »Der Mann ist tot. Hier liegen seine Kleider. Willst du das etwa leugnen, du Hund? Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Ich bin nicht …«, murmelte der Kapo. Er hustete umständlich.
    Der SS -Mann riss ihm seine gelbe Kapo-Armbinde ab und gab ihm eine brutale Ohrfeige. Schweinz’ Lippe blutete.
    »Geh mir sofort aus den Augen! Ab in Block elf!«
    Zwei SS -Leute packten den Kapo am Arm und führten ihn hinaus. Block 11. Der berüchtigte Todesblock. Beim Verlassen des Krankensaals warf mir Doktor Levi einen verstohlenen Blick zu.
    19
    Endlich durfte ich die Krankenstation verlassen. Laut Aussagen des SS -Arztes war ich nicht mehr ansteckend. Ich durfte wieder duschen und erhielt neue Kleider, sogar Unterwäsche und Socken. Doktor Levi gab mir zwei Schmerztabletten mit, mehr konnte er nicht entbehren. Uns verband eine merkwürdige Beziehung, aber wir verstanden einander. Eine kurze Umarmung. Wegen des Diamanten bat ich den SS -Arzt, noch kurz in meiner Baracke vorbeischauen zu dürfen.
    »Was wollen Sie denn da?«, fragte er mit einem geringschätzigen Lachen. »Haben Sie etwa Privatbesitz? Ein Fotoalbum? Oder ihre Lieblingschaiselongue? Haha! Nein, ich habe strikte Anweisung, Sie zur Kommandantur zu schicken. Und dort gehen Sie jetzt auch hin.«
    Draußen wartete bereits ein Begleiter, der mich zum Kom mandanten bringen sollte. Das SS -Hauptgebäude befand sich auf dem Lagergelände unweit vom Haupttor, bis dorthin waren es etwa vier Minuten zu Fuß. Die Pappelalleen lagen größtenteils verlassen da. Nachdem wir das Hauptquartier erreicht hatten, folgte ich meinem Begleiter ins Innere des Gebäudes. Wie viele Häftlinge hier wohl schon empfangen waren worden? War ich der erste? Ich nahm meine Mütze ab und sah zu Boden. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte man als Jude immerhin das Privileg, einem Unmenschen nicht in die Augen sehen zu müssen. Unmensch – ein Begriff, den ich seit der Reichskristallnacht passender fand als Übermensch.
    Wir stiegen die Treppe hinauf zum ersten Stock. In einem Büro durfte ich auf einem wackeligen Holzstuhl Platz nehmen. Ich wartete. Die Einrichtung war nüchtern: zwei zusammengeschobene Tische, um die ein paar Stühle gruppiert waren. Es gab eine Schreibtischlampe, ein schwarzes Telefon und ein Drehkarussell mit verschiedenen Stempeln. Dazu an jedem Arbeitsplatz eine Schale mit Bleistiften. An der vertäfelten Wand hing außer einer Landkarte Europas mit rot markierten Linien, wahrscheinlich Eisenbahnstrecken, ein gerahmtes Foto, das mehrere lachende SS -Leute zeigte. Es gab ferner ein provisorisch angebrachtes Brett mit einem Porzellanschalter. Aus einem anderen Zimmer hörte man das laute Klappern einer Schreibmaschine.
    Nach zehn Minuten holte mich mein Begleiter ab. Wir gingen auf ein Zimmer am Ende des Gangs zu. Er klopfte zwei Mal und öffnete dann die Tür. Ich trat ein. Dieser Ar beitsraum war größer und heller als der vorherige, aber genauso schlicht eingerichtet.
    »Ah, Herr Hoffmann!«
    Herr Hoffmann. Für ihn war ich Nummer 173545, und das durfte gern so bleiben.
    Der Lagerkommandant erhob sich hinter seinem Eichenholzschreibtisch. Irgendwo hatte ich ihn bereits einmal gesehen: Ja, es war der Offizier mit den weißen Handschuhen. Der Mann, der Otto, den kleinen Briefmarkensammler, und seine Mutter in den Tod geschickt hatte. Er sah mich mit derselben aufgesetzten Freundlichkeit an wie am Tag unserer Ankunft.
    »Nehmen Sie Platz.«
    Ich gehorchte.
    Der Kommandant öffnete eine Holzkiste und bot mir eine Zigarre an. Ich lehnte dankend ab. Er

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