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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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mir, den man gezwungen hatte, seinen Vater zu ermorden, sah, wie Schweinz mit seinem Knüppel in die Grube hinabstieg. War ich jetzt genauso ein Ungeheuer? Kann man auf solche Ungeheuerlichkeiten nur mit neuen Ungeheuerlichkeiten reagieren? Nicht nachdenken! Hier lagen Männer, die unzählige Leben vernichtet hatten, ohne je den Skrupel, ohne Gewissensbisse.
    Wie konnte ich verhindern, dass ich erwischt wurde? Ich musste mir einen weißen Arztkittel überziehen. Im Dunkeln würde man mich für einen Arzt halten. Einer der Kittel hing im Gang. Ich drückte vorsichtig die Klinke herunter, öffnete die Tür und griff von der Schwelle aus nach dem Kittel. Ich zog ihn hastig an und schloss vorsichtig die Tür, aber nicht vorsichtig genug: Das Fenster klirrte. Ich spitzte die Ohren, hörte aber nichts als Schnarchen.
    Ich holte die Spritze unter meiner Matratze hervor und berührte die spitze Nadel mit dem Zeigefinger, versteckte die Spritze in meiner Hand und lief zu Heinz’ Pritsche. Dort lag er, der Mistkerl, er hatte mir den Rücken zugekehrt. Vorsichtig schlug ich die Decke zurück. Er murmelte etwas und machte schmatzende Geräusche. Ich hielt den Atem an, aber er schnarchte weiter.
    Jetzt musste ich nur noch die Nadel in eine Vene rammen und Luft injizieren. Eine solche Macht über Leben und Tod war eine berauschende Erfahrung.
    Jetzt.
    Ich musste es tun. Für Helena.
    Jetzt.
    Ich wollte schreien und ihm die Nadel in die Vene jagen, einfach nur schreien, bis es vorbei war.
    Ich tat es nicht.
    Ich wankte zu meiner Pritsche zurück, steckte die Spritze in meine Tasche und ließ mich auf die Strohmatratze fallen. So blieb ich bestimmt eine Viertelstunde lang liegen. Müde und erschöpft. Ich hatte die Erregung gespürt, die von einem Besitz ergreift, wenn man die Macht besitzt, jemanden zu töten. Aber ich besaß nicht den Mut dazu.
    Und dann fiel mir plötzlich eine Lösung ein, die besser zu mir passte.
    Ich kletterte wieder von meiner Pritsche herunter, öffnete die Tür und betrat barfuß den Gang. Der Granitboden war eiskalt. Ich hörte das Brummen eines Generators, ansonsten herrschte Stille. Rasch ging ich zum Treppenhaus und nahm die Treppe nach unten. Instinktiv erriet ich, dass sich die Totenkammer am Ende des Kellergangs befand. Tatsächlich war die Tür nicht abgeschlossen. Ich zwängte mich hinein.
    Hier drinnen war es kühl. Eines der Fenster stand offen und klapperte im Wind. Im Mondschein sah ich bestimmt zehn bis auf die Knochen abgemagerte Leichen, die wild übereinandergestapelt waren. Sie wurden hier für eines der Krematorien aufbewahrt, später würde ein großer Lastkarren des Himmelfahrtkommandos sie abholen. Unangenehmer Verwesungsgeruch hing in der Luft. Was kaum über raschen konnte. An die Totenkammer der Fleckfieber ba racke wollte ich gar nicht erst denken.
    Ich brauchte eine Leiche. Eine frische Leiche. Am besten einen Muselmann. Vorsichtig zerrte ich die oberste vom Stapel. Der Mann wog nicht viel, und er sah noch jung aus. Sein Alter war schwer zu schätzen: Der Tod hatte einen Greis aus ihm gemacht. Gut möglich, dass er erst vor wenigen Stunden gestorben war.
    Plötzlich ging die Tür auf.
    Ich hatte das Gefühl, mein Herzschlag setzte aus, denn ich befand mich Auge in Auge mit einem Leichenträger. Der Mann stand mit einem vollen Schubkarren im Flur und sah mich mit großen, leeren Augen an. Nicht zögern! Ich richtete mich auf und musterte ihn durchdringend. Ruckartig hob ich das Kinn. Mein weißer Kittel tat ein Übriges. Der Leichenträger senkte den Kopf, schlurfte rückwärts und verschwand.
    An die Tür gelehnt, wartete ich eine Weile, bis ich mich von dem Schrecken erholt hatte. Anschließend legte ich die Leiche vorsichtig auf den Boden. »Bitte verzeihen Sie mir«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Vertrauen Sie mir. Ich brauche Sie für einen guten Zweck.«
    Ich zog dem Toten Hose und Hemd aus und legte beides zu einem Bündel zusammen. Wie sollte ich den Mann transportieren? Ich warf ihn mir über die Schulter. Hätte mich jemand zu dieser späten Stunde ertappt, hätte ich behauptet, ihn im Treppenhaus gefunden zu haben. Der Leichenträger war nirgendwo zu sehen, der Gang lag still und verlassen da. Ich ging die Treppe hoch und lief so schnell wie möglich zu meinem Krankensaal. Mit einer Hand drückte ich die Türklinke herunter, bewegte mich rückwärts und schloss erneut die Tür. Ich holte tief Luft, aber mir blieb keine Zeit zum Ausruhen.
    Ich legte den ausgezehrten

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