Das Lachen und der Tod (German Edition)
Er bittet die Schüler um patriotische Parolen.
›Heil, Hitler!‹, ruft ein Junge.
›Sehr gut‹, sagt Herr Goebbels.
›Deutschland über alles!‹, ruft ein Mädchen mit braunen Zöpfen.
›Hervorragend. Wem fällt eine noch bessere Parole ein?‹
›Unser Volk wird ewig leben‹, sagt ein kleiner Junge.
›Wunderbar‹, erwidert Herr Goebbels und klatscht begeistert. ›Diese Parole gefällt mir am besten. Wie heißt du, junger Mann?‹
›Israel Goldberg.‹«
Der Lagerkommandant blickte mich starr an. Und begann lauthals zu lachen. »Sehr gut, sehr gut. Sie haben Mut, Herr Hoffmann. Genau wie Ihr Vater.«
Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre und blies den Rauch zur Decke.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Von einem Kollegen weiß ich, dass in einem anderen Lager eine richtige Oper aufgeführt wurde. Warum sollten wir hier kein Kabarett haben? Mit Ihnen habe ich das große Los gezogen. Sie sind zur Hälfte deutsch, Sie beherrschen die Sprache, und Sie sind ein Komiker auf hohem Niveau. Ich kann etwas für Sie tun und dafür sorgen, dass Sie den Krieg heil überstehen. Sie müssen nicht mehr arbeiten: Stattdessen treten sie vor meinen Leuten auf. Die brauchen schließlich ebenfalls Unterhal tung, nicht wahr? Wir arbeiten hart, aber wir lachen auch gern.« Er sah mich triumphierend an.
Das war ein verlockendes Angebot. Kein normaler Häftling hätte nur eine Sekunde gezögert: Weil das die Chance war zu überleben.
»Das geht nicht, Herr Obersturmbannführer.«
Ich hörte mich die Worte sagen, ganz ruhig und gelassen. Alles hatte Grenzen. Für mich war das Lachen mit Hoffnung verbunden, mit Licht, mit Helena. Trat ich vor ihren Mördern auf, würde ich ihr Andenken besudeln. Ich spürte, wie eine Riesenwut und ein ungeheurer Hass in mir hochkamen. Niemals würde ich auf die Bitte dieses Schuftes eingehen!
Der Kommandant wurde blass und stand abrupt auf. »Was bilden Sie sich ein? Ich kann Sie erschießen lassen.«
»Ja, das können Sie, Herr Obersturmbannführer. Dessen bin ich mir bewusst.«
Er musterte mich eindringlich. Diese Wendung hatte er eindeutig nicht erwartet. Hektisch und gar nicht mehr genießerisch zog er an seiner Zigarre und schüttelte den Kopf. Mehrere Sekunden vergingen.
»Herr Hoffmann, das muss doch nicht sein! Ich kann Ihre Haltung durchaus verstehen. Glauben Sie, mir gefällt das Lager hier? Das sind Befehle, und die muss ich ausführen. Glauben Sie, wir Deutschen, wir Ehrenmänner, haben Spaß daran? Da täuschen Sie sich. Mir wäre es erheblich lieber, die Juden hätten ein eigenes Land bekommen. Im Kaukasus. Oder in Sibirien.«
»Der einzige Weg aus diesem Lager führt durch den Kamin«, sagte ich knapp. »Das sagen sogar ihre eigenen Leute, Herr Obersturmbannführer.«
Er lachte verlegen. »Sie denken ja wohl nicht, dass wir alle Juden einfach so … Ihr Vater war ein guter Deutscher. Sie haben Talent, sie haben eine Zukunft! Um Himmels willen, so nehmen Sie diese Chance bloß wahr!«
»Ich habe keine Zukunft. Niemand in diesem Lager hat eine Zukunft. Und das wissen Sie genau, Herr Obersturmbannführer.«
Er erstarrte erneut. »Sie provozieren mich, Herr Hoffmann. Klug ist das nicht.«
Ich senkte den Kopf.
Wieder entstand eine Pause. Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. In der Ferne hörte ich ein Radio. Nach einiger Zeit drehte er sich wieder um.
»Gut. Sie haben keine Angst vor dem Tod. Aber das wäre auch ein viel zu einfacher Ausweg für Sie. Ich habe einen anderen Plan: Sie wollen nur vor Ihren eigenen Leuten auftreten. Sie glauben an den Humor, glauben, dass sich mit einem Lachen alles lösen lässt: in einem Viehwaggon, in einer Baracke –, überall. Sie möchten Hoffnung spenden, nicht wahr?«
Hoffnung. Dieses Thema war für mich längst erledigt. Er wusste offensichtlich nichts von Helena.
»Ich weiß eine Herausforderung für Sie: Sie dürfen Hoffnung vermitteln, an einem Ort, wo man lange nach Humor suchen kann. Sie dürfen Ihre Leute zum Lachen bringen, doch ich bezweifle, dass Ihnen das gelingen wird. Nehmen Sie die Herausforderung an?«
Wovon redete er? Von einem Strafkommando? Von Gefangenen im Todesblock? Sein selbstbewusster, drohender Ton machte mich nervös, aber ich ließ mir nichts anmerken.
Ich nickte.
»Gut!« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ich bin kein Unmensch, Herr Hoffmannn. An dem Ort, den ich meine, müssen Sie nur das tun, worin Sie gut sind. Und falls Ihnen das gelingt, brauchen Sie nicht
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