Das Lachen und der Tod (German Edition)
Verbrechen.
18
Ich schluckte auch weiterhin Tabletten. Obwohl Fieber, Kopfschmerzen und Schwindel nachließen, erholte ich mich nur langsam. Zu meinen Zimmergenossen hatte ich kaum Kontakt. Ich ignorierte sie. Einmal konnte ich mich nicht beherrschen: Ein Kapo und ein Blockältester rauchten eine Zigarette am offenen Fenster und unterhielten sich über die Unverzichtbarkeit von strengen Regeln im Lager. »Alle Juden sind von Grund auf schlecht und verdorben«, sagte der Kapo barsch.
»Dasselbe gilt für sämtliche Eskimos«, sagte ich von meiner Pritsche aus.
Er sah mich überrascht an. »Wieso denn Eskimos?«
»Wieso Juden?«
Gegen Ende des vierten Tages hielt ein Laster neben der Krankenbaracke. Ein SS -Unteroffizier und ein Kapo stiegen aus. Vier Gefangene luden hastig und unter den lauten Flüchen des Kapos zehn Leichen aus. Sie wurden nebeneinandergelegt. Wahrscheinlich waren sie bei einem Arbeitskommando ums Leben gekommen. Kein einziger Körper war unverletzt. Ich sah Geschwüre, Blutergüsse, blauviolette Flecken und offene Wunden. Ich konnte mich einfach nicht an die verkrampften Gesichter der Toten gewöhnen.
Eine elfte Leiche wurde mit großem Tamtam vom Wagen gehoben und in einiger Entfernung von den anderen vorsichtig auf den Boden gelegt. Merkwürdigerweise handelte es sich dabei ebenfalls um einen Häftling. Er trug als Einziger noch seine gestreifte Lagerkleidung. An seiner linken Schläfe klaffte eine tiefe Fleischwunde, sein ganzes Gesicht war mit schwarz geronnenem Blut beschmiert. Ein SS -Mann kam mit einer Kamera. Er machte sich Notizen und fotografierte die elfte Leiche. Die anderen zehn würdigte er keines Blickes. Was war hier los? Vorsichtig machte ich das Fenster einen Spaltbreit auf. Doktor Levi gesellte sich zu der Gruppe.
»Was ist?«, fragte er.
»Wir vermuten, dass dieser Häftling umgebracht wurde«, sagte der Kapo mit Nachdruck.
Der Arzt bückte sich und untersuchte die Wunde.
»Das war kein Selbstmord«, hörte ich ihn sagen. Mir war, als scherzte er, doch Humor wäre bei diesen Leuten verschwendet. Doktor Levi zeigte auf die zehn anderen Leichen. »Wollen Sie, dass ich die auch untersuche?«
Der Kapo grinste. »Nicht nötig. Diese Hunde wollten nicht arbeiten. Sie sind eines natürlichen Todes gestorben.«
Ich sah den Ekel auf Levis Gesicht.
»Wie ist dieser Häftling umgekommen?«, fragte der SS -Unteroffizier barsch.
»Schwer zu sagen«, antwortete der Doktor. »Aber wenn ich mir diese tiefe Schnittwunde so anschaue, könnte sie von einem Schaufelhieb stammen.«
»Mord also.«
»Ja. Höchstwahrscheinlich.«
»Kapo! Bist du dir sicher, dass du diesen Häftling nicht angefasst hast?«
»Bestimmt nicht. Und wenn, nehme ich meinen Knüppel.«
Der Unteroffizier ließ die Bemerkung auf sich wirken. Anschließend zog er seine Pistole und wandte sich an die Gruppe der Häftlinge, die mit dem Laster gekommen war.
»Wer war das?«
Sie starrten schweigend zu Boden, die Mützen in der Hand. Mit einer schnellen Bewegung lud der SS -Mann seine Luger, zerrte grob einen Häftling nach vorn und hielt ihm die Pistole an die Schläfe.
»Wer war das?«, wiederholte er.
Der Mann begann zu zittern. »Ich weiß es nicht, Herr, ich weiß es nicht! Ich hab nichts gesehen! Ich …«
Peng.
Der Mann sackte in sich zusammen. Die anderen wichen zurück. Doktor Levi erstarrte. »Das können Sie doch nicht machen!«
»Was? Was kann ich nicht machen?!« Der Schütze zielte jetzt auf die Stirn des holländischen Arztes. Der wurde blass. Der SS -Mann packte den nächsten Häftling.
»Wer war das?«
Der Mann begann zu zittern und schüttelte den Kopf.
Peng.
Der Nächste.
Peng!
Der Nächste.
Peng!
Resolut steckte der SS -Mann die Pistole zurück in ihr Hols ter und machte eine kurze Geste in Richtung der Leichen.
»Wegbringen.«
Am nächsten Abend machte Doktor Levi seine tägliche Runde durch den Krankensaal. Er flößte ein paar Patienten Tabletten ein, darunter auch Schweinz. Zu mir kam er zuletzt. Heimlich legte er eine Spritze unter meinen Strohsack und fühlte meinen Puls. »Ihr Kapo schläft gleich wie ein Stein«, sagte er leise. »Eine Luftblase in die Vene genügt. Das ist mein Beitrag. Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.«
Ich konnte nicht schlafen und wartete, stundenlang. Würde ich das über mich bringen? Konnte ich noch zurück? Durch das Gespräch mit dem Arzt hatte ich mich in eine unmögliche Lage gebracht. Ich sah noch das Entsetzen in den Augen des Jungen vor
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