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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Stunde später waren sie da – Frauen: wachsbleich, mager und ihrer Haarpracht beraubt, die meisten hatten nur noch kurze Stoppeln. Ich schätzte sie auf etwa sechzig, siebzig Personen. Sie hatten ihre Schönheit vergessen. Einige sahen sich misstrauisch um. Ich musste an Helena denken. Sie war auf einer Pritsche gestorben. Zumindest das war ihr erspart geblieben.
    »Ausziehen!«, brüllte ein SS -Mann.
    Zögernd zogen sie ihre Lagerkleidung aus. Die Todesangst stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
    »Wasser, bitte!«, flehte eine von ihnen.
    »Erst duschen und desinfizieren«, sagte der SS -Mann. »Danach trinken und essen.«
    Ich konnte die obszönen Lügen nicht mehr ertragen.
    Sie wurden in einen kleineren »Duschraum« dirigiert, am anderen Ende des Bunkers. Auch dort gab es Kupferleitungen und Duschköpfe. Dieser Raum war extra für kleinere Gruppen gebaut worden. Eine Dose Gas reichte. Wie effizient!
    Eine Frau mit einem schmalen Gesicht und blutunterlaufenen Augen blieb stehen. Sie hob den Finger und begann, zu deklamieren: »Wartet nur!«, rief sie, während sich ihre Stimme überschlug. »Wartet nur! Die Welt wird sich an euch rächen, ihr Mörderbande! Die Russen kommen. Und das wisst ihr genau. Die Russen kommen! Jetzt gehen wir, und bald darauf geht ihr mit euren Familien. Wartet nur! Heute wir, morgen ihr!«
    Zdenek schlug die Hände vors Gesicht. Genau wie ich erwartete er, dass die SS -Leute ihren Frust an der enthemmten Frau auslassen würden. Erstaunlicherweise blieben Sie untätig. Sie wirkten eher bedrückt.
    Ich sah eine Frau, die von Weitem Helena ähnelte. Ich wusste kaum noch, wie sie aussah.
    »Helena?«, sagte ich leise. Das konnte nicht sein!
    Sie schaute auf, mit Augen, die nichts mehr sahen. Sie lächelte verschwommen.
    »Helena!«
    Sie lief weiter, betrat den kleinen Bunker.
    »Helena!«
    Ich rannte ihr nach, packte sie an den Schultern und drehte sie um. Es war dämmrig. War sie es wirklich? Ich umarmte sie. Wir standen bereits in der Gaskammer. Andere folgten. In diesem Gedränge gab es kein Zurück mehr.
    »Herkommen!«, rief der Mistkerl mit dem Lichtschalter.
    »Nein!«, brüllte ich. »Und wag es nicht, die Tür zu schließen! Ich bin hier, weil der Kommandant es so will.«
    »Herkommen!«
    »Hol den Kommandanten! Ohne diese Frau gehe ich nicht weg!«
    »Verdammt. Verdammt! «
    Die Tür wurde geschlossen, der Riegel vorgelegt. Das Licht ging aus. Lautes Wehklagen. Eine Frau sprach gefasst ein jüdisches Gebet. War das das Ende? Ich war bereit. Dann war das eben das Ende.
    »Nimm mich auch mit«, sagte eine Stimme.
    »Mich auch.«
    »Mich auch.«
    »Mich auch.«
    »Ist das deine Frau?«, flüsterte eine andere. Sie stand irgendwo hinter mir.
    Ich sagte einfach Ja.
    »Wasser«, stammelte Helena. »Wasser.«
    »Gleich. Ich bin’s, Ernst.«
    »Sie sind Ernst?« Die flüsternde Frauenstimme hinter mir klang überrascht. »Jetzt verstehe ich, warum sie Ihren Namen so oft erwähnt hat!«
    Ich lachte und weinte, berührte Helenas Gesicht und küsste ihre Stirn. Sie schmeckte nach kaltem, salzigem Schweiß.
    »Sie haben uns fünf Tage in der Baracke eingeschlossen«, fuhr die Frau fort. »Ohne etwas zu essen oder zu trinken, ohne Medikamente. Sie haben gewartet, bis man uns auf einen Schlag umbringen kann. Wir haben nur ein bisschen Regenwasser trinken können. Ein paar von uns haben Käfer gegessen. Helena hat so gehofft, dass Sie kommen. Und Sie sind gekommen. Hoffentlich noch rechtzeitig. Wenn nur mein Mann hier wäre!«
    »Ich dachte, sie sei tot«, sagte ich.
    »Sie ist sehr krank. Fleckfieber. Es scheint im ganzen Lager umzugehen. Aber sie ist zäh.«
    Die ganze Zeit über hielt ich die bibbernde Helena fest. Ich spürte die Knochen unter ihrer Haut.
    Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Hoffnung schöpfte ich. Den anderen ging es genauso. Wir warteten. Ich traute mich nicht, nach oben zu schauen, hinauf zur Dachluke, die sich öffnen konnte, zum Licht, das auf uns fallen würde. Ich führte Helena in eine Ecke. Dort wären wir etwas geschützter vor der Höllenpanik, die ausbrechen würde, sobald man die Gaskörner streute. Ich hatte die Fleischklumpen gesehen. So wollte ich nicht enden. Andererseits: Wenn wir weiter weg standen – dauerte der Todeskampf dann nicht länger? War der beste Platz nicht der direkt unter der Luke?
    Ich hörte einen Riegel. Den Türriegel. Ich drängte mich mit Helena so weit vor wie möglich. In einem Meer von Licht erkannte ich die Umrisse des

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