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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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unterhalten: Ich war auf Deutsche spezialisiert, denen jeder Sinn für Humor abhanden gekommen war. Aber was sollte ich mit Deutschen anfangen, die das Wort Humor nur vom Hörensagen kannten?
    25
    Ich erlebte eine der stillsten Nächte seit meiner Ankunft im Lager und konnte deswegen nur schwer einschlafen. Und dann wachte ich auch noch früh auf von Stimmen, Wasserrauschen und dem Echo einer laut zugeschlagenen Tür. Jemand klopfte vehement gegen meine Tür. Ich sprang sofort aus dem Bett – ein alter Reflex. Hastig zog ich meine Kleider an und suchte in meinem Schrank nach einem Napf, fand aber nur einen Tonbecher.
    Im Flur hing feuchter Wasserdampf. Vor dem Duschraum, über dessen Tür in weißen Buchstaben Brausen stand, hatte sich eine lange Schlange von Wartenden gebildet. Das mussten die Musiker sein, sie waren genauso hager und schmächtig wie die anderen Lagerinsassen. Muselmänner jedoch waren nicht darunter. Ich beschloss, das Duschen ausfallen zu lassen und nach oben zu gehen.
    In der Musikstube, dem Proberaum des Orchesters, zeigte eine Wanduhr halb fünf. Der Morgenappell fand hier früher statt, weil die Orchestermitglieder die Außenkommandos mit Marschmusik hinausbegleiten mussten. Es war ein langer, geräumiger Saal mit weißen Wänden und einer bleigrauen Vertäfelung. Darin stand ein riesiger Schrank mit Holzfächern, in denen die Instrumente lagen. Ich erkannte eine Tuba, ein Horn, Geigen, Flöten und Klarinetten. Weiter hinten standen Pauken, ein Schlagzeug, Akkordeons und ein Cello. An einem Ende des Raumes befand sich der Probebereich mit einem Podest für den Dirigenten, mehreren Stuhlreihen und mit hölzernen Notenständern. Am anderen Ende stand ein großer Holztisch mit Kisten voller Brötchen und Kannen mit Kaffee und Tee. Ich erkannte Jakob, den Zigeunergeiger. Ein Trompeter spielte mühsam eine Tonleiter. Er war sichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis.
    Um viertel vor fünf war Appell. Wir stellten uns in Fünferreihen auf. Das Zählen übernahm der Blockälteste, allem Anschein nach ein Pole, ein grimmig dreinblickender Mann mit einer schwarzen Hornbrille. Aufgrund der verhältnismäßig wenigen Häftlinge dauerte der Appell nicht lange. Er ging ohne Schläge, Schreie oder Provokationen vonstatten. Die Musiker, die Frühschicht hatten, zogen kurz nach fünf im Morgengrauen los, unter lautem Gezwitscher von Spatzen, Meisen und Mauerseglern.
    Während die übrigen Musiker gähnend ihre Instrumente mit Bürsten reinigten und mit Baumwolllappen polierten, beschloss ich, wieder nach unten zu gehen. Schlafen konnte ich nicht mehr. Ich ging duschen. An die weiß gekalkte Wand hatte jemand mit kecken Schnörkeln einen schwarzen Notenschlüssel gemalt. In den normalen Baracken hatte ich schubsen, drängeln und kämpfen müssen, um mich mit kaltem Wasser frisch machen zu können – und auch das nur knapp zehn Sekunden lang. Jetzt stand ich hier als Einziger, umgeben von einer Stille, der ich misstraute. Ich hatte das Gefühl, dass jeden Moment SS -Leute hereinstürmen, mich zusammenschlagen und hinausjagen könnten. Nur um mich einem Scheißkommando zuzuweisen, das Exkrementeneimer aus der Fleckfieberbaracke in den Latrinengruben entsorgen musste. Ich hatte doch nicht etwa geglaubt, dem Lageregime einfach so entrinnen zu können?
    Nach der lauwarmen Dusche ging ich tropfnass in mein Zimmer. In meinem Holzschrank entdeckte ich ein Handtuch. Ich trocknete mich ab und schlüpfte in meinen Schlafanzug. Jetzt fühlte ich mich besser und beschloss, mich an die Arbeit machen. Seit jeher konnte ich morgens am besten schreiben. Ich wollte mich beeilen, um Helena so schnell wie möglich besuchen zu dürfen.
    Also setzte ich mich an den Tisch, streckte die Arme und spannte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine ein. Ein schöner Moment. Ein unbeschriebenes weißes Blatt. Maler haben eine weiße Leinwand vor sich, das muss noch imposanter sein.
    Die Premiere. Ein Saal voller Deutscher. Mein erster Satz.
    Schön, dass Sie hier sind.
    Ich grinste. Die Ironie darin würde völlig an ihnen vorbeigehen.
    Ich könnte auch mit einer Schweigeminute beginnen. Ich sah die Szene förmlich vor mir:
    »Guten Abend, meine Damen und Herren. Leider muss ich Ihnen eine traurige Mitteilung machen: Die Vorstellung muss ausfallen. Heute Mittag gegen halb zwei wurde bekannt, dass der Pole Zbiginiew Koslowski bei einem Sturz in die Latrinengrube tragischerweise ums Leben gekommen ist. Wir haben Zbiginiew als einen wertvollen,

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