Das Lachen und der Tod (German Edition)
stand einfach nur da.
»Glaubst du, sie werden dich umbringen?«, fuhr ich fort. Ich zog meine Hand wie ein Messer an meinem Hals lang.
Gelächter ertönte. Vor allem Frauen lachten.
Der Mann vor mir seufzte laut auf.
»Warte!«, sagte ich und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Du hast überhaupt keine Angst!« Ich griff mir ans Herz. »Du hast Liebeskummer! Grosso? Liebe. Liebe!«
Ein Funke glomm in seinen Augen auf, das erkannte ich sofort. Der Clown war wieder da.
Er winselte wie ein heimwehkranker Hund.
Wieder Gelächter. Ich packte ihn an den Schultern und drehte ihn zum Publikum.
»Aber Grosso!«
»Ja, Grosso.«
»Wer ist es? Wen liebst du?«
Er begann verlegen zu grinsen, wiegte sich in den Hüften hin und her und fuhr mit der Schuhspitze über den Boden.
»Sitzt sie hier im Saal?«
Er schüttelte rasch den Kopf.
»Grosso! Uns kannst du das doch erzählen! Ist sie schön?«
»Jaaaaaaa.«
»Also gut. Du, Grosso …«
»Ja, Grosso.«
»Du bist hier, um die Leute zum La-chen zu brin-gen.«
»Ja. Zum La-chen brin-gen.«
Meine Haare raufend, entfernte ich mich von ihm. »Nein, nein! Du, Grosso …«
»Ja, Grosso.«
»Du Clown. Ha-ha-ha!«
»Ha-ha-ha.«
»Ja!«
»Oooooooooooh.«
Ich wischte mir imaginären Schweiß von der Stirn und trocknete die Hand mehrmals an meinen Kleidern ab.
Grosso schlurfte hinter mir her und kreischte mir ins Ohr. Ich erschreckte mich zu Tode und machte einen Luftsprung – und das war nicht gespielt! Er lachte wie eine Hyäne und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
»Ich Clown!«, rief er laut. »Zum La-chen brin-gen.« Er konzentrierte sich weiterhin auf das Publikum, um mir Gelegenheit zu geben, mich zu revanchieren.
Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen und ermahnte das Publikum zur Stille. Dann schlich ich mich von hinten an ihn heran und gab ihm einen festen Klaps aufs Hinterteil. Er ließ sich wie ein Akrobat nach vorn fallen. Bei diesen Kapriolen fehlte eigentlich nur der Trommelwirbel. Im Grunde war dieser Sketch albern und kindisch, aber das SS -Publikum brüllte vor Lachen.
Grosso verschwand hinter dem Vorhang. Achselzuckend blickte ich ins Publikum. Ich wusste genauso wenig wie die Zuschauer, was er jetzt wohl wieder ausheckte. Ich lief zum Vorhang und wieder zurück. Das Publikum teilte meine Nervosität. Er würde mich doch nicht hier stehen lassen? Ich konnte nicht mehr so einfach auf Witze umsteigen und schon gar nicht auf Sprache.
Ich seufzte und wartete. Von Zeit zu Zeit grinste ich ins Publikum oder winkte ihm kurz.
Wie lange ließ sich das durchhalten?
Zu meiner Erleichterung erschien sein grinsendes Gesicht im Vorhangspalt. Applaus brandete auf. Insgeheim bewunderte ich erneut sein Timing: Er war weder zu kurz noch zu lange weggeblieben. Grosso betrat die Bühne, und hinter seinem Rücken kam eine Geige zum Vorschein. Während er das Instrument auf seine Schulter legte, lief ich erstaunt um ihn herum. Ich grinste wieder ins Publikum und prustete laut vor Lachen.
Heiterkeit.
Grosso sah verdattert drein und wartete.
Ich schüttelte den Kopf. Das wurde nichts!
Grosso wirkte weiterhin verdattert.
Ich verschränkte die Arme, hob das Kinn und nickte ihm zu. Langsam legte Grosso den Bogen auf die Saiten. Und schaute mich erneut an.
Ich nickte.
Er strich mit dem Bogen über die Saiten. Ich wusste gar nicht, dass man einem so vornehmen Instrument solch ein erbärmliches Kreischen entlocken konnte. Ich hielt mir die Ohren zu und rannte geduckt davon.
Gelächter.
Der Clown sah niedergeschlagen ins Publikum.
Ich kehrte zu ihm zurück. »Nein, Grosso. Nein, nein, nein. Du: nicht spielen!«
Er winselte.
»Nein, Grosso. Nicht spielen!« Ich wandte mich ans Publikum. »Grosso spielen?«
Das Nein hallte wie ein Echo im Saal wider.
Grosso war zu Tode betrübt. Er sackte regelrecht in sich zusammen. Ich legte nach: »Musiker spielen: ja. Grosso spielen: nein.«
Er ließ die Unterlippe hängen. Trotzdem legte er die Geige wieder auf seine Schulter. Ich hielt mir die Ohren zu und krümmte mich, genau wie das Publikum.
Grosso erzeugte einen leisen Ton, den er langsam anschwellen ließ und der zu meiner Überraschung kristallklar war. Er schloss die Augen und spielte, wütend und melancholisch, brutal und zärtlich, erfüllt von Trauer. Dann endete er mit einem Thema aus Bachs Chaconne. Es war ein fantastischer Schlussakkord – der Schlussakkord eines Auftritts, der meiner Ansicht nach ein großer Akt des Widerstands gewesen
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