Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
Vom Netzwerk:
war noch nie in der Nähe des Kanada-Lagers gewesen. Es schien ein ganzer Gebäudekomplex zu sein, bestehend aus drei Reihen mit je zehn Baracken, umgeben von Stacheldraht. Am eisernen Tor gab ich dem Wachhabenden das unterschriebene und mit einem Tagesstempel versehene SS -Formular: 12. August 1944. Er prüfte es, nickte und ließ uns passieren.
    Vor dem Schuppen türmte sich ein haushoher Berg mit unsortierter Kleidung. Ich sah eine wilde Mischung aus Sommerjacketts, Westen, Hosen, Hemden, Unterhosen, Röcken und Abendkleidern, dazu gehäkelte Babykleidung, Kinderpullis und Baumwolllätzchen. Es war schon merkwürdig: Diese unsortierten Kleider hatten Tausenden Menschen gehört, die heute, gestern oder vorgestern angekommen waren. Sie waren so gut wie alle bereits tot. Verschwunden.
    Helena sah mich schweigend an.
    Wir gingen an den verschiedenen Schuppen vorbei. Hier waren die Waren bereits weitestgehend sortiert. Vor einem Schuppen, in dem ausschließlich Damenkleidung gestapelt war, stand ein langer Tisch, hinter dem acht Frauen die Kleidung nach versteckten Wertsachen durchsuchten. In einer Holzkiste lagen zusammengerollte Geldscheine sowie Juwe len und Schmuck. Mit Rasiermessern entfernten sie die baum wollenen Judensterne. Die meisten hatten mit Pflastern bedeckte Schnittwunden. Sie warfen die Sterne achtlos in eine große Kiste, die bereits randvoll war. Im Herrenkleiderschup pen ne benan verrichteten sechs Frauen dieselbe Arbeit. Was wohl mit den Sternen geschah? Brauchte man die eigentlich noch?
    Zwischen den Baracken türmten sich haushoch die Koffer. Es mussten Tausende sein, und es gab sie in allen Ausführungen und Größen. Ich sah auch Kinderwagen in Blau, Grau, Rot und Weiß, bis zu sechs übereinander und von Regalbrettern getrennt. Dazwischen waren Regenpfützen, die Eisengestelle wirkten teilweise verrostet. In anderen Baracken gab es stapelweise Schuhe, Decken, Brillen, ja sogar Beinprothesen, Zylinder und ineinandergesteckte Melonen. Ich lächelte. In einer anderen Ecke lagen Leinenballen, die sich weich anfühlten. Darin war Menschenhaar verwebt. Mir verging das Lächeln.
    Bei einem der Schuppen blieben wir neben einem Uhrmacher stehen, einem Mann um die fünfzig mit grauer Igelfrisur und einer um den Hals gehängten Brille. Die Ärmel seines weißen Hemdes waren hochgekrempelt, in der Brusttasche seines schwarzen Kittels steckten mehrere Schraubenzieher im Miniaturformat. Er saß auf einem Hocker vor einem klei nen Amboss und schaute durch eine Lupe, die auf ein Stativ montiert war. So hatte er beide Hände frei, um Reparaturen am komplizierten Mechanismus eines Uhrwerks vorzunehmen, das nicht mehr funktionierte. Neben ihm stand eine Kiste mit silbernen und goldenen Uhren und Taschenuhren, die in der Sonne funkelten. Um ihn herum lagen Schrauben, Federn, Rädchen und kleine Zahnräder.
    Er sah mit zusammengekniffenen Augen auf. Als er meine gelbe Armbinde entdeckte, sprang er auf.
    »Nicht erschrecken!«, sagte ich rasch. »Ich bin kein echter Kapo. Ich bin Komiker und darf mich mit Erlaubnis des Kommandanten hier umsehen. Und das ist Helena.«
    Der Uhrmacher nahm seine Brille ab und wischte sich die Finger an einem Baumwolllappen ab. Anschließend gab er ihr die Hand. »Robert Goldstein.«
    Er war Holländer, das hörte ich sofort.
    »Amsterdam?«, fragte ich.
    Er lachte. »Dass Sie das hören! Ich hatte ein eigenes Uhrengeschäft an der Leidsegracht. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Hoffmann. Ernst Hoffmann.«
    »Sie sind Komiker, sagen Sie.«
    »Stimmt.«
    »Es tut mir leid, aber Ihr Name sagt mir nichts. Ich kenne mich in diesen Kreisen nicht besonders gut aus.«
    »Ich mache ziemlich primitive Witze. Aber verraten Sie das bloß nicht den Deutschen.«
    Robert Goldstein lachte.
    »Was geschieht mit diesen Uhren?«, fragte ich.
    »Die kommen ins Reich, Meneer. Oder zur Armee. Neulich hörte ich, wie sich zwei SS -Leute über so eine Sendung mit schönen Uhren unterhalten haben. Eine U-Boot-Besatzung soll nach einer erfolgreichen Nordseemission eine Kiste mit kostbaren Taschenuhren geschenkt bekommen haben. Alles verschiedene Modelle, und in einigen waren sogar noch die Namen eingraviert: Cohen, Rosenthal oder Polak etwa. Die SS -Leute konnten sich die Gesichter der Männer lebhaft vorstellen. Sie haben sich gekringelt vor Lachen.«
    Neben ihm, aber nicht auf dem Haufen, lag eine goldene Taschenuhr.
    Helena nahm sie und wog sie in der Hand. Sie entzifferte die Gravur. Ben und Lea

Weitere Kostenlose Bücher