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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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reagiert! Gab es vielleicht doch noch Hoffnung für die Max-de-Ronde-Zwillinge?
    In der Tür stand Helena. In einem hellgelben Kleid. Ihre Haare waren nachgewachsen, sie hatte keine Stoppelfrisur mehr. Wir tauschten rasch einen Blick aus, und sie lächelte verlegen.
    »Helmut, Manfred, wir haben einen Gast«, sagte die Frau des Kommandanten streng.
    »Hallo, ich bin Helmut.« Ein kleines Patschhändchen streckte sich mit entgegen.
    »Hallo, ich bin Manfred.« Noch ein Patschhändchen. »Sie haben aber eine große Nase. Sie sehen aus wie ein Jude!«
    Die Zwillinge prusteten vor Lachen.
    »Manfred!«, rief die Frau des Kommandanten. »Schäm dich. Entschuldige dich. Sofort!«
    »Es tut mir leid.«
    Ich nickte, auch wenn ich nicht begriff, für welchen Teil seines Witzes er sich entschuldigen sollte: für die Beobachtung, dass ich eine lange Nase hatte, oder für den Verdacht, einen Juden vor sich zu haben, oder für alles beide? Auch seine Mutter verzichtete auf eine Erklärung. Nichtsdestowe niger war sie die erste Deutsche seit Langem, die sich für etwas entschuldigte.
    Das Telefon klingelte, und einer der Zwillinge stürmte auf den schwarzen Apparat zu, der auf einer Radiotruhe stand. »Heil Hitler, Sie sprechen mit Manfred Müller!« Kurze Pause. »Ja, er kommt gleich.«
    Sein Vater nahm den Hörer entgegen. Ich nutzte die Gelegenheit, mich in dem schlicht eingerichteten Wohnzimmer umzusehen. An der vergilbten Tapete hingen ein Führerporträt, eine hölzerne Wanduhr und ein uraltes Gewehr mit einem geborstenen Kolben und einem verrosteten Lauf. Am Fenster stand ein glänzender Flügel. Ein Sauter .
    »Mögen Sie Rosinenkuchen?«, fragte die Frau des Kommandanten. Sie suchte Helenas Blick und deutete auf die Zwillinge. Helena begriff und scheuchte die Jungen hinaus.
    »Gern«, sagte ich. Es war lange her, dass mir jemand Kuchen angeboten hatte. Ich nahm einen viel zu großen Bissen, ließ ihn langsam auf der Zunge zergehen. Der Kommandant beendete das Telefonat, indem er paar Befehle in den Apparat brüllte. Er nahm ein Foto von der Kommode, bevor er auf mich zutrat.
    »Herr Hoffmann! Das hier ist mein Vater.«
    Ich musste sofort an das Foto meines Vaters denken: Fricourt, 1916. Auch hier war in verblassten Sepiafarben ein stramm stehender, mürrisch dreinblickender Mann zu sehen, der mit seinem Gewehr posierte. Theoretisch konnte er ein Kamerad meines Vaters gewesen sein, wie es der Kommandant gern gehabt hätte. Aber nur rein theoretisch. Ich wollte gar nicht daran denken! Und selbst wenn das Schicksal tatsächlich so zynisch sein sollte, glaubte dieser Mann bestimmt nicht an den Krieg seines Sohnes. Für dessen Arbeit hätte er nichts als Verachtung übrig gehabt.
    »Er wirkt wie ein Ehrenmann auf mich«, sagte ich neutral und gab ihm das gerahmte Foto zurück.
    »Ja, ein Ehrenmann war er mit Sicherheit«, erwiderte der Kommandant nachdenklich. »Das haben Sie sehr gut erkannt.«
    Ich bekam ein zweites Stück Kuchen, wofür ich mich bei meiner Gastgeberin bedankte. Der Kommandant zündete sich eine Zigarre an und blies Rauchringe in die Luft. »Ich habe Großes mit Ihnen vor, Herr Hoffmann. In Kürze bekommen wir hohen Besuch. Ich darf Ihnen nicht verraten, um wen es sich handelt, doch zusammen mit dem Orchester sind Sie ein wichtiger Bestandteil unseres Kulturprogramms. Sie und der Clown natürlich. Machen Sie sich schon mal Gedanken. Sie sind ein Mann mit Prinzipien. Deshalb vertraue ich Ihnen, Herr Hoffmann. Ich freue mich bereits darauf. In unserem Lager werden die Gäste das beste Theaterprogramm Europas zu sehen bekommen!«
    In unserem Lager. Ich lächelte. Draußen trafen mehrere Stabsfahrzeuge mit anderen Offizieren und ihren Kindern ein.
    »Schau, da sind sie«, sagte die Frau des Kommandanten. »Kurt, müssen wir jetzt über Geschäftliches reden? Hat das nicht noch Zeit? Heute stehen die Kinder im Mittelpunkt.«
    »Natürlich, Herzlein.«
    Sie sah mich an. »Ich hoffe, wir Erwachsenen kommen auch in den Genuss Ihrer Zauberkünste, Herr Hoffmann?«
    »Aber selbstverständlich.«
    Wir gingen nach draußen. Es waren fünfzehn bis zwanzig Eltern anwesend und bestimmt dreißig Kinder. Alle Väter trugen gestärkte SS -Uniformen mit Reithose und Stiefeln. Es herrschte eine gesellige Atmosphäre. Jungen spielten mit einem ledernen Fußball. Einige etwa zwölf- bis dreizehnjährige Mädchen steckten die Köpfe zusammen und kicherten.
    Helena führte die Geburtstagskinder nach vorn. Der Kom mandant ergriff

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