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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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sich gelangweilt auf ihre Karabiner und starrten auf die Straße, die unter der Ladefläche vorbeiglitt. Neben mir saß Grosso. Er summte eine Melodie. Zu diesem Anlass war sein buntes Clownskostüm extra gewaschen und gebügelt worden. Albert Kapinsky und zwölf Mu siker waren ebenfalls dabei, die meisten hielten einen Instrumentenkoffer auf dem Schoß. Auf dem Boden lagen ein paar hölzerne Notenständer.
    Wir fuhren durch eine blühende grüne Landschaft. Hier und da sah man einen weißgetünchten Bauernhof und eine Ansammlung von Birken. Ich versuchte, das Lager auch gedanklich hinter mir zu lassen. Ich würde Helena wiedersehen. Ich würde vor Kindern auftreten, die zwar von Henkern abstammten, aber trotzdem unschuldig waren – so viel Glauben an die Menschheit besaß ich noch.
    Die Fahrt war kurz, die Villa lag nur wenige Kilometer vom Lager entfernt. Es handelte sich um ein großes, eher unauffälliges Haus mit sandbraunem Stuck, weißen Fensterrah men und orangenfarbenen Dachziegeln. Wahrscheinlich hatte man es einer nicht unvermögenden polnischen Familie weggenommen wie die meisten Häuser, in denen jetzt SS -Offiziere lebten. Wir bogen in die Auffahrt ein, die von jungen Bäumen gesäumt wurde. Der Laster hielt neben der Villa, und wir stiegen aus. Von hohen Eichen verdeckt, war das Lager selbst von hier aus nicht mehr zu sehen, wohl jedoch die grauschwarzen Rauchwolken aus der Verbrennungsgrube.
    Der Kommandant schritt in einer makellosen Uniform auf uns zu. »Da sind Sie ja. Sehr gut.«
    Der Kindergeburtstag wurde im Freien gefeiert, hinter dem Haus auf einem frisch gemähten Rasen. Ich blickte mich um: Gartentische, Ballons, Holzbänke an einer großen Tafel, die mit weißer Leinentischdecke, Tellern, Besteck, Gläsern und Karaffen gedeckt war. Vor einer Ligusterhecke stand ein großer gemauerter Grill. In einer Ecke des Gartens entdeckte ich eine cremefarbene, achteckige Gartenlaube mit zierlich gedrechselten Säulen. Hier wurde das Musikensemble platziert. Unter dem Reetdach waren in einem Viertelkreis Stühle aufgestellt. Während Albert Kapinsky sich mit dem Kommandanten beriet, begannen die Musiker, ihre Instrumente auszupacken und zu putzen.
    Wir waren die Ersten. Grosso lief zum Tisch und schnupperte an einer Karaffe mit roter Limonade, als wäre sie Wein. Ein Mädchen vom Personal nahm ihm die Karaffe vorsichtig ab und schenkte ihm etwas ein. Der Clown trank sein Glas auf einen Zug leer.
    Helena konnte ich nirgendwo entdecken. War sie schon hier? Wir hatten uns seit Kanada nicht mehr gesehen. Auf dem Rückweg hatten wir uns noch einmal geküsst, im Schatten einer Baracke, als wären wir wieder sechzehn. Dann war von einem Wachtturm lautes Gebrüll erklungen, und ich hatte Helena wieder brav an der Krankenbaracke abgeliefert.
    »Herr Hoffmann, kommen Sie!«
    Der Kommandant ging durch eine Flügeltür voran. Seine Frau stellte sich mit dem Namen Lise vor. In der Küche duftete es nach Kuchen. Apfelkuchen?
    »Setzen Sie sich, Meneer Hoffmann«, sagte sie freundlich.
    »Hier duftet es köstlich«, sagte ich höflich.
    »Ja, finden Sie nicht auch?«, erwiderte sie triumphierend. »Endlich mal was anderes als der ewige Gestank von der Müllverbrennung.«
    Sie sah mein erstauntes Gesicht.
    »Der Gestank aus dem Lager, Herr Hoffmann!«, sagte der Kommandant rasch. »Es wird Ihnen doch nicht entgangen sein, dass wir immer mehr Müll aus Europa geschickt bekommen?« Er sah seine Frau liebevoll an. »Nein, Schätzchen, gut riecht das nicht. Aber die Arbeit muss nun mal gemacht werden.«
    Die Juden waren der Müll Europas, und ich war nichts weiter als ein Stück Dreck. Neu war mir das nicht, aber dieser Lise hier anscheinend schon. Sie wirkte einfältig auf mich, und doch schien es mir unmöglich, dass sie tatsächlich keinerlei Verdacht schöpfte. Oder wusste sie Bescheid und beschönigte das, was im Lager geschah, vor mir, als hätte sie es mit einem ihrer Kinder zu tun?
    »Vati! Vati!«
    Zwei Jungen kamen angerannt. »Vati, der Clown hat von der Torte genascht! Mit seinem kleinen Finger. Wir haben es selbst gesehen!«
    Der Kommandant erhob sich. »Immer mit der Ruhe! Sagt ihm, dass er das nicht darf.«
    Ich drehte mich um. Mir verschlug es die Sprache. Die beiden Jungen waren Zwillinge. Eineiige Zwillinge. Beide waren blond, und beide trugen eine Kniebundhose, ein weißes Hemd und einen himmelblauen Rautenpullunder. Deshalb hatte der Obersturmbannführer so emotional auf meinen Bestechungsversuch

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