Das Laecheln Deines Moerders
daran erinnert, dass er das Stipendium, das er so gerne haben wollte, verlieren würde, wenn seine Noten weiterhin abrutschten.
Abrutschten? Von »abrutschen« konnte keine Rede sein; ihm war, als wäre er kopfüber in einen Abgrund gesprungen. Er ballte die Fäuste. Es wäre besser gewesen, wenn sie ihm klipp und klar gesagt hätte, dass er sich endlich verdammt noch mal zusammenreißen sollte. Es wäre besser gewesen, wenn sie ihm kräftig eins über den Schädel gezogen hätte. Aber sie hatte es nicht getan. Sie hatte ihn nur angesehen – nur traurig angesehen. Und bei allem, was sie sagte, hatte sie höllisch aufgepasst, dass er sich nicht wie ein Vollidiot vorkam.
Sein Kopf fiel zurück, und er starrte an die Decke. Er hätte ihr so gerne alles erzählt, hätte ihr so gerne gestanden, was ihn innerlich auffraß. Und er wollte es immer noch. Sie würde es verstehen. Sie würde ihm nicht die Wange tätscheln und ihm sagen, dass er sich keine Sorgen machen solle, weil alles schon wieder in Ordnung käme.
Aber was konnte sie schon unternehmen? Konnte überhaupt jemand etwas unternehmen?
Brad stand auf, ging ein paar Schritte und drehte sich dann zu seinem ungemachten Bett um. Sein Blick fixierte die Stelle zwischen Matratze und Untergestell, wo er es versteckt hatte, und es kostete ihn enorme Mühe, dem Drang, es hervorzuzerren und noch einmal anzusehen, zu widerstehen.
Er war ja richtig besessen davon! Angewidert kniff er die Augen zusammen und zwang sich, sich von der Linie abzuwenden, die Matratze von Bettgestell trennte. Dann schlug er wieder die Augen auf und sah zufällig sein Abbild im Spiegel. Er schauderte. Seine Augen waren rot, die Haare schmutzig, verfilzt. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert.
Er war ein Wrack.
»Brad?«
Seine strapazierten Nerven reagierten prompt, und er wirbelte herum. Nicky stand an der Tür, die Hand am Knauf. Konnte dieser Kerl nicht klopfen? Konnte denn niemand in diesem verdammten Haus seine Privatsphäre akzeptieren? Voller Wut über die Störung trat er einen Schritt vor.
»Was willst du?«, fauchte er, bereute seinen Tonfall aber sofort, als er sah, wie sich Nickys Augen weiteten und er sich hastig zum Schutz halb hinter die Tür zurückzog. Nickys Unterlippe bebte, und Brad hätte sich ohrfeigen mögen. Er lächelte seinen Bruder an, doch dieser erwiderte das Lächeln nicht. Brad trat erneut einen Schritt vor, und Nicky wich zurück, ohne den Blick aus den großen braunen Augen von Brad zu nehmen.
»Es tut mir Leid, Nicky.« Er streckte den Arm aus, um dem Kleinen durchs Haar zu wuscheln, aber Nicky fuhr zurück. Brad wurde beinahe übel. Sein Bruder war gerade erst wieder so weit, dass er seiner Familie manchmal erlaubte, ihn zu berühren. Er war gerade wieder so weit, dass er in den Nächten nicht mehr ausschließlich von Ungeheuern und Männern mit Waffen heimgesucht wurde, die ihn aus dem Bett stehlen wollten. Nicky konnte ganz sicher keine gegen ihn gerichteten Aggressionen gebrauchen, am wenigsten von seinem ältesten Bruder.
Brad hockte sich hin, sodass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit Nickys war. Behutsam streckte er die Hand aus und tippte seinem Bruder auf die sommersprossige Nase. »Es tut mir sehr Leid«, flüsterte er. »Ich hätte dich nicht anschreien dürfen.«
Nicky nickte. »Tante Helen sagt, wir können jetzt essen«, flüsterte er – viel zu ernst für einen Siebenjährigen. Auch dafür hasste sich Brad.
Das tat er in letzter Zeit anscheinend verdammt häufig. Sich hassen.
Er dachte erneut an das, was zwischen Matratze und Bettgestell klemmte. Wünschte, dass es nicht da wäre, dass er es nie gesehen hätte. Wünschte, dass sein Leben ganz anders gewesen wäre. Wie früher – wieder so, wie es einmal gewesen war. Aber es konnte nicht sein, es würde niemals wieder so werden, wie es früher gewesen war. Und das war nicht leicht zu verdauen.
Brad zog Nickys Mundwinkel ein Stück herab, sodass er wie ein schlecht gelaunter Clown aussah, und musste lächeln, als er das leise Glucksen in der Kehle seines Bruders hörte. Immerhin konnten sie beide noch lächeln, dachte er.
Und das war doch schon was.
Freitag, 30. September, 17.00 Uhr
Jenna klammerte sich an das Geländer der Schultreppe und spürte die Kälte des Metalls an der Hand, die von Steven Thatchers Arm noch warm war. Sie sah ihm hinterher, wie er mit kräftigen, ausgreifenden Schritten über den Parkplatz ging. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, wie eng das
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