Das Laecheln Deines Moerders
kam die gemurmelte Antwort.
Steven schlug die Augen wieder auf. Sein Sohn saß angespannt auf dem Bett, hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt und starrte ins Leere. Steven biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er geweint. »Was soll das heißen?« Brad schnaubte freudlos. »Das heißt … ja, klar.«
»Was ist mit dir los, Brad? Vor einem Monat noch warst du lernbegierig, gut gelaunt,
gewaschen.
Jetzt fällst du durch deinen Chemiekurs, meine Güte. In wie vielen anderen Kursen läuft es genauso, ohne dass die Lehrer mich angerufen haben? Lehrer, die sich nicht ausreichend für ihre Schüler interessieren, um am späten Freitagnachmittag noch mit dem Vater zu reden?«
Brad schwieg, und Steven spürte, wie seine Frustration mit jeder Sekunde wuchs.
»Sag mir die Wahrheit, Brad. Nimmst du Drogen?«
Brad versteifte sich und drehte dann bewusst den Kopf, um seinen Vater kalt anzustarren. »Nein.«
»Und kann ich dir glauben?«
Brad zog in einer sarkastischen Parodie eines Lächelns einen Mundwinkel hoch. »Anscheinend ja nicht.«
Steven sprang auf die Füße und starrte Brad sprachlos an; ihm fiel einfach keine erwachsene Antwort ein. Er wirbelte herum und blickte an die Wand, weil er den Zorn, ja, den
Hass,
den er in den Augen seines Sohnes entdeckte, nicht ertragen konnte. Es war, als ob sein Sohn etwas gegen
ihn
hatte! »Warum, Brad?«
»Warum was?«
»Warum tust du mir das an? Mir und deinen Brüdern? Und warum dir selbst?« Steven kreuzte die Arme vor der Brust und hielt sich daran fest. Der Druck auf der Brust, auf seinem Herzen, das tatsächlich zu schmerzen schien, brachte ein wenig Erleichterung. Seine Kehle tat weh, aber er schaffte es, den Klumpen Angst, der ihn zu ersticken drohte, zurückzudrängen. Sein Sohn. Einen Moment lang wurde die Furcht übermächtig. Er fühlte sich verraten und hilflos, betäubt von Schmerz und Angst. »Warum?«, flüsterte er.
Brad sah ihn einfach nur an. Seine Augen waren so kalt. »Darum.«
Darum?
Darum?
Was für eine Antwort war das? Steven wartete ab und konzentrierte sich auf das Wummern seines Herzens, auf das Pulsieren in seiner Halsschlagader. Und dann wich er rückwärts zurück. Er würde wohl keine andere Antwort bekommen. Es war sinnlos. Als sein Rücken gegen die Tür prallte, räusperte er sich.
»Ich muss noch mal weg. In Pineville wird ein Mädchen vermisst.« War da ein Aufflackern in den Augen seines Sohnes gewesen? Kannte er noch Mitgefühl? »Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Tante Helen hat morgen ihren Canasta-Abend. Kann ich mich darauf verlassen, dass du ein Auge auf deine Brüder hast, falls ich nicht hier bin? Brad?«
Brad schloss die Augen und nickte knapp. Steven stand noch einen Moment da und betrachtete seinen ältesten Sohn, der ihn absichtlich ignorierte. Frustriert verließ er das Zimmer, schloss die Tür und sank draußen gegen die Wand.
»Was soll ich bloß machen?«, flüsterte er heiser. Seine Augen brannten, und er kniff sie zu. »Bitte, lieber Gott, sag mir, was ich tun soll.«
Aber die Stimme, die er in seinem Kopf hörte, war die von Jenna Marshall.
Kopf hoch, Steven.
Wenn es doch nur so einfach wäre.
Freitag, 30. September, 19.30 Uhr
Jenna löste die Leine von Jims Halsband und richtete sich seufzend wieder auf. Ihr Fuß schmerzte, aber wenigstens waren beide Hunde draußen gewesen. Nie im Leben hätte sie Steven Thatcher darum gebeten, obwohl er wahrscheinlich nur allzu gerne diese Chance genutzt hätte, noch fünfzehn oder zwanzig Minuten später nach Hause zu kommen. Ob er inzwischen mit Brad geredet hatte?
Sie hätte gerne gewusst, ob sie sonst noch etwas tun konnte. Dann schob sie diesen Gedanken beiseite. Casey hatte Recht. Sie konnte nicht viel mehr tun, als die Eltern zu informieren. Als Lehrerin war es ihre Aufgabe, sie auf das Problem hinzuweisen und sich dann wieder zurückzuziehen, selbst wenn diese Eltern breite Schultern, wunderschöne Augen, muskulöse Oberarme und einen angenehmen Duft hatten.
Jenna musste lachen. Es war eine gute Sache, dass sie Steven Thatcher nicht wiedersehen musste. Sie brauchte Zeit, um die frisch erwachten Hormone zu disziplinieren. »Damit ich keine Dummheiten mache«, informierte sie Jean-Luc, der vor ihr saß und hoffnungsvoll zu ihr aufsah.
Aber Jenna Marshall machte selten Dummheiten. »Ich mache ja im Grunde genommen gar nichts«, fuhr sie seufzend fort, während Jean-Luc ihr die Hand leckte. Und der heutige Abend würde da keine Ausnahme bilden.
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