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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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kommen, wenn sein Vater so sehr darauf bestehe, schlich er sich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Die Tür zum Nebenzimmer war nur angelehnt. Er wollte nicht spionieren, nein. Es interessierte ihn einfach nur, was sie wohl tun würden.
    Philipp hatte schon mehr als einmal erlebt, dass ein Mann, der tausendmal wiederholt hatte: »Nein, nein, niemals!«, beim tausendersten Mal plötzlich »Ja« sagte. Und dass eine Frau, die man zum Teufel gejagt hatte, immer wieder zurückkam. Wie ein australischer Bumerang.
    Ach, das Leben war schon schwierig. Er selbst war ja Zeuge gewesen, als die beiden sich scheinbar endgültig und für alle Zeiten getrennt hatten, dort, in der Bar »Cayo Coco«. Damals hatte der Legionär gesagt »nein, niemals«. Und Shanna hatte ihn einen Schuft und Taugenichts genannt und vorwurfsvoll von irgendwelchem Geld gesprochen. Es hatte ganz so ausgesehen, als wäre alles vorbei – basta, finito, adieu, die endgültige, allerletzte Aussprache.
    Aber nun, nach nur drei Tagen . . .
    Philipp spähte durch den Spalt der angelehnten Tür. Shanna hatte die Arme um den Legionär geschlungen, schmiegte sich an ihn, verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und weinte. Der Legionär . . . er machte ein so dummes Gesicht, verwirrt, erstaunt, zärtlich. Er hatte seinen Arm um Shannas Schultern gelegt und küsste ihr Haar. (Diesmal hatte sie ihre platinblonde Perücke zu Hause gelassen, Gott sei Dank.) Sie hob ihr verweintes Gesicht zu ihm empor, und er küsste sie auf den Mund.
    »Ich kann ohne dich nicht leben. Ich liebe dich . . . ich liebe dich wahnsinnig. Ich verliere noch den Verstand, ich sterbe . . .«, flüsterte Shanna. Philipp wunderte sich, dass sie imstande war, so zu sprechen, solche Worte zu finden, einen solchen Ton. Der Legionär löste vorsichtig die Umarmung und schob ihr gleichzeitig den Pelzmantel von den Schultern. Geräuschlos sank der Nerz wie eine Folie oder ein Fallschirm langsam aufs Parkett und umhüllte Shannas Füße. Sie trat mit dem Absatz ihres Wildlederstiefels auf den seidigen, schokoladenbraunen Pelz.
    »Verlass mich nicht. Ich kann ohne dich nicht leben . . . Ich stürze mich aus dem Fenster, ich vergifte mich . . .«
    Ihre sorgfältig manikürten, mit Ringen geschmückten Hände streichelten fieberhaft über den Körper des Legionärs. Sie verstrickten sich in seinen Haaren, liebkosten seine Schultern, glitten über den Pullover, strichen über Brust, Bauch, Hüften.
    Philipp hatte schon immer geahnt, dass Shanna nicht nur eine glänzende Managerin und Geschäftsführerin, sondern auch eine begabte, erfahrene Liebhaberin war. Vor zehn Jahren war sein Vater verrückt nach ihr gewesen. Dann, nach einer oft stürmischen, lang währenden Beziehung, die friedlich und respektvoll geendet hatte und harmonisch in eine leicht ironische Freundschaft und stabile Geschäftspartnerschaft übergegangen war, hatte Shanna auch andere Männer. Mit jedem Jahr wurden ihre Freunde jünger, und Shanna wurde mit jeder neuen Beziehung hübscher und jugendlicher, bis . . .
    Bis sie über den Legionär stolperte.
    Philipp war fest überzeugt, dass jeder Mensch in seinem Leben einmal unverhofft über irgendetwas stolpert. Wenn es jemandem noch nicht passiert war, bedeutete das nur, das es noch vor ihm lag. Er selbst erlebte es jetzt, mit fünfundzwanzig.
    Was hatte Shanna mit ihren zweiundvierzig Jahren schon alles hinter sich: eine frühe, unglückliche Ehe und Scheidung, Anstellungen in einem Kaufhaus und in einer Handelskooperative, die Bekanntschaft mit seinem Vater, ihr Zusammenleben in dem alten Haus (das war noch zu Lebzeiten seiner Mutter gewesen, die aber aufgrund ihrer Psychose von alledem nichts mitbekam), die friedliche, einvernehmliche Trennung, dann die aktive Teilnahme an allen Bauprojekten und anderen Geschäftsvorhaben des Vaters, die Gründung des »Roten Mohn«, den Kauf einer Dreizimmerwohnung in Krylatskoje und den Bau einer Datscha in Judinka, zwei erfolgreiche Schönheitsoperationen, den Ersatz ihres geliebten Renault durch einen BMW, Urlaube, die sie in Nizza oder auf den Kanaren verbrachte – und nach alldem, nach einem schon zur Hälfte verflossenen und für eine Frau außergewöhnlich erfolgreichen Leben stolperte Shanna über den Legionär.
    »Ich kann ohne dich nicht leben. Ich stürze mich aus dem Fenster, ich vergifte mich . . .«
    Und Philipp sah und begriff sehr deutlich – auch der Legionär, obwohl er es um nichts in der Welt zugegeben hätte, war über diese Frau

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