Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
Vom Netzwerk:
reichlich frech geworden, und vielleicht treiben die Bullen ihm ja seinen Hochmut aus.«
    »Du bist ein Intrigant, Gleb.«
    »Was bleibt einem anderes übrig, wenn man sich tagtäglich mit Miliz und Staatsanwaltschaft herumschlagen muss.« Kitajew lächelte unfroh. »Also vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über die Kamera gesagt habe. Denken Sie in einer stillen Minute darüber nach.«
    »Das werde ich tun, Gleb. Ganz bestimmt.«
    Saljutow nickte ihm zu. Die Musik des »Hauses« . . . Auch dieses Zwiegespräch gehörte dazu: Kitajews heiser-besorgter Bass, das Quietschen des mit Saffianleder bezogenen Sessels unter seinem Gewicht.
    Auf dem roten Teppich, vor dem Sofa, funkelte etwas auf. Saljutow bückte sich und fuhr mit den Fingern durch den dichten Flausch. Es war eine Stecknadel. Wie sie auf den Teppich in seinem Büro gekommen war, blieb rätselhaft.
    Sternklare Nächte in einer Großstadt sind eine Seltenheit. Solche Nächte zu verschlafen ist eine Sünde. Der Vater hatte oft erzählt, er habe, als er so jung war wie seine Söhne, oft nächtelang nicht geschlafen. Der Sinn stand ihm nicht nach Schlaf.
    Der Vater ist schon lange nicht mehr jung. Aber in dieser
    Nacht schläft er auch nicht. Philipp Saljutow, der es sich auf dem gemütlichen Ecksofa in der kleinen, holzvertäfelten Küche bequem gemacht hatte, warf einen Blick auf die aus einem Porzellanteller gemachte Wanduhr. Jetzt, um halb eins in der Nacht, ist der Vater bestimmt noch wach. Im Kasino geht es um diese Zeit hoch her.
    Philipp horchte: Nebenan hörte man leise Stimmen. Diese Wohnung in der Pjatnizkaja-Straße hatte der Legionär durch eine Annonce gefunden. Ihm hatten es vor allem die drei Meter hohen Decken, das große Badezimmer, der stille Innenhof und die bequeme Zufahrt aus beiden Richtungen angetan.
    Philipp Saljutow dagegen gefiel der Blick aus dem Fenster auf den hohen Glockenturm der renovierten Kirche und die Einrichtung – die Wohnung wurde möbliert vermietet, mit allem möglichen Inventar, darunter eine Sammlung alter Türschlösser, die an Haken aufgereiht den ganzen schäbigen Flur schmückten.
    Philipp dachte daran, wie er und sein Bruder Igor in der Kindheit davon geträumt hatten, ganz allein, ohne Erwachsene, zu leben. Am liebsten auf einer unbewohnten Insel im Indischen Ozean. Das war so lange her . . . Igor war tot. Philipps älterer Bruder war nun der Legionär.
    Wieder horchte Philipp: Stimmen hinter der Wand, Geflüster.
    Es geschah fast gleichzeitig: Das Telefon schrillte, und an der Wohnungstür wurde geklingelt. Philipp nahm das Telefon ab – es war Kitajew. Der Legionär öffnete die Tür. Draußen stand Shanna.
    Während Philipp mit Kitajew telefonierte, beobachtete er gleichzeitig die beiden an der Tür. Shanna sagte: »Hallo, kann ich reinkommen?« Und der Legionär antwortete: »Hallo, natürlich, bitte.« Philipp hätte eigentlich sofort gehen und die beiden allein lassen sollen. Aber draußen war es Nacht und eiskalt. Und außerdem war es unmöglich, Gleb Kitajew zu unterbrechen, der ihm durchs Telefon ins Gewissen redete und ihm zusetzte, er solle zur Besinnung kommen und seinen Vater um Verzeihung bitten.
    Um Verzeihung bitten – wofür?
    Philipp fiel ein, wie er sich in der Kindheit einmal heftig mit seinem Bruder gestritten und sogar geprügelt hatte. Igor war älter und im Recht, Philipp war an allem schuld, doch heute, nach so vielen Jahren, konnte er sich nicht mehr erinnern, worin seine kindliche Schuld bestanden hatte. Er hätte den ersten Schritt tun, sich entschuldigen müssen, aber er brachte es nicht fertig. Nachts weinte er, schwieg aber beharrlich. Igor selbst kam ihm entgegen. Er war immer nachgiebig gewesen. Vielleicht war diese Nachgiebigkeit (»Rückgratlosigkeit«, wie es Igors Frau Marina manchmal nannte) tatsächlich eine Art Charakterfehler, im Leben nur hinderlich.
    Aber Philipp liebte seinen Bruder mit allen seinen Schwächen und Fehlern. Niemand stand ihm näher. Als Igor starb, tat sich in seinem Leben ein schwarzes Loch auf, eine Leere, die dann der Legionär ausfüllte.
    Doch bald darauf verliebte der Legionär sich Hals über Kopf und hatte für Philipp kaum noch Zeit. Dann trat die Liebe wieder etwas zurück, wie das Meer bei Ebbe, er begann sogar zu zweifeln – war das wirklich ein echtes Gefühl oder nur ein primitiver Trieb, verstärkt durch ein handfestes materielles Interesse?
    Nachdem Philipp das Gespräch mit Kitajew beendet und versprochen hatte, morgen ins Kasino zu

Weitere Kostenlose Bücher