Das Laecheln der Chimaere
Partizipien: Schicht übernommen, Schicht übergeben, Zielperson eingetroffen, Zielperson abgefahren. Alle Berichte widmeten sich fast ausschließlich der Beschreibung des Tagesverlaufs der Angestellten, ihrer Ankunft in und ihrer Abfahrt aus Iljinskoje – Stubenmädchen, Krankenpflegerinnen, Wachleute. Der Kasino-Besitzer Saljutow selbst war entweder tagsüber gar nicht observiert worden oder die Berichte über ihn lagen noch, wie Katja vermutete, im Safe der Mordkommission, und sie hatte nur unvollständige Informationen bekommen, aus denen sie sich mühevoll zusammenreimen musste, dass Saljutow in diesen Tagen sein Haus in Iljinskoje gewöhnlich um halb neun verließ und erst nach Mitternacht dorthin zurückkehrte. Katja kam gar nicht auf die Idee, dass der Chef des »Roten Mohn« in den letzten anderthalb Monaten nach dem Tod seines ältesten Sohnes nur ein einziges Mal in Iljinskoje übernachtet hatte. Hätte ihr jemand gesagt, dass er alle anderen Nächte entweder in einem Zimmer des Landhotels »Desna« oder aber in seinen Privaträumen im Kasino verbracht hatte, so hätte sie sich für diese Tatsache bestimmt interessiert und versucht, den Grund dafür herauszubekommen. Aber die Spezialisten, die die Villa in Iljinskoje überwachten, argwöhnten auch nichts dergleichen. Und auch Kolossow ahnte nichts davon.
Bei der Lektüre der Berichte fiel Katja auf, dass Saljutows Wache in den letzten Tagen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen rund um die Villa in Iljinskoje traf. Offensichtlich war Saljutow nach dem zweiten Mord im Kasino ernstlich auch um sein privates Umfeld besorgt und bemühte sich, seine Enkel, seine Schwiegertochter und die bei ihnen lebende greise Tante zu schützen. Zu Katjas großem Bedauern waren die Informationen über Saljutows Familie äußerst spärlich – nur die nötigsten Angaben zur Person, sonst nichts.
Marina Saljutowa verließ das Haus tatsächlich fast nie. Im Zeitraum der Observierung war sie nur einmal nach Moskau gefahren, wo sie etliche teure Geschäfte am Kutusowski-Prospekt besuchte. Begleitet wurde sie vom Chauffeur Ravil Rachimow und dem Leibwächter Fjodor Palzew. Verschiedene exklusive Modeboutiquen, ein Juweliersalon und eine Weinhandlung für französische Markenweine – das waren die Orte, die Marina bei ihrem kurzen Rundgang aufsuchte. In jedem Geschäft verbrachte sie fünf bis fünfzehn Minuten, nirgends kaufte sie etwas, sondern schaute sich die Waren nur an. Und überall folgte ihr der Leibwächter auf den Fersen. Katja schob diese öde Aufzählung seufzend beiseite. Da fiel ihr Blick plötzlich auf eine kurze Mitteilung, die mit der Hand auf das Formular eines Verhörprotokolls geschrieben war. Es handelte sich um die inoffizielle Befragung der Krankenpflegerin Serafima Polunina, die kurz nach dem ersten Mord (laut Datum am sechsten Januar) durchgeführt worden war, noch bevor man angeordnet hatte, das Haus in Iljinskoje zu observieren.
Auch darin ging es, wie in den vorhergehenden Berichten, vorwiegend um die tägliche Routine. Die Krankenpflegerin erzählte von Saljutows Enkeln und seiner alten Tante Polina, für deren Pflege sie eingestellt worden war.
Katja las den Absatz, der ihr Interesse geweckt hatte, noch einmal: »Unsere Madame ist nach dem Tod ihres Mannes ganz trübsinnig geworden, aber trotzdem achtet sie immer noch sehr auf ihr Aussehen. Vielleicht sogar noch mehr als früher. Manchmal setzt sie sich in ihrem Schlafzimmer vor den Spiegel und schaut sich nur immer an . . . Jeden Donnerstag fährt sie um zehn Uhr morgens die Kinder zum Sportklub nach Krylatskoje. Ein sündhaft teurer Klub ist das, Fitness-Center heißt das heute ja wohl . . . Die Kinder haben einen Privattrainer, der mit ihnen im Schwimmbecken herumplantscht, und Madame kommt auch nicht zu kurz . . .«
Katja kramte im Schrank und grub ein Adressbuch von Moskau aus. Ein Sportklub in Krylatskoje, ein teurer Fitnessklub . . . Tatsächlich! »Planet Atlantis«, Fitness-Center. Sport-und Trainingsräume, Schwimmbecken mit Meereswasser und Aquapark, Kosmetiksalon, Sauna, Solarium. Hydromassage, Aromatherapie, spezielle Sportprogramme für Kinder, Bowling, Tennis, Minifußball, östliche Kampfsportarten. Morgen war ja Donnerstag, also . . .
Katja griff zum Telefon, wählte die Dienstnummer von Krawtschenko – besetzt! Wie immer! Sie wählte seine Handynummer.
»Ja doch!«
»Ich bin’s, Wadim, hallo.«
»Hallo«, brummte Krawtschenko, »lange nicht gesehen, ma chère.«
»Es geht um
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