Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut
ohnehin eine reichlich verlorene Sache zu sein. Komm zu mir, wenn du Sehnsucht nach einem Buch hast. Ich werde es nicht ausplaudern. Und jetzt lass uns essen. Wollen doch mal sehen, was die gute Basilissa uns heute gekocht hat.“
Waringham, November 1360
Fast unbemerkt ging der September über in den Oktober und der Oktober in den November. Robin kam es vor, als sei die Zeit von St. Thomas schon Jahre her. Den Jungen, der einmal der Earl of Waringham hatte werden sollen, gab es nicht mehr. Er war ganz und gar in seiner neuen Welt aufgegangen. Wie alle anderen plagte er sich mit Stephens üblen Launen herum, wie alle anderen fror er morgens bei der Arbeit und fluchte lästerlich, und die Stallburschen schienen vergessen zu haben, wer er einmal gewesen war. Sie nahmen es großmütig hin, dass er in mancher Hinsicht ein wenig anders war als sie, und sie hörten auf, ihn wegen seiner Bücherbildung zu hänseln, als er anfing, ihnen die Geschichten zu erzählen, die zu den Namen der Pferde gehörten. Bislang waren es einfach nur Namen gewesen, einige lang und schwer auszusprechen. Robins Vater hatte die Tradition begonnen, und seit er nicht mehr da war, wurden dieselben Namen einfach immer wieder vergeben. Doch Robin gab den Namen Bedeutung und hauchte ihnen Leben ein. Abends vor dem Schlafengehen oder sonntags nach dem Essen saßen sie um ihn herum und lauschten ihm gebannt. Robin war ein guter Geschichtenerzähler. Nicht selten gesellte Conrad sich zu ihnen. Im Gegenzug brachten sie ihm bei, was sie über Pferde wussten: dass es die Wikinger gewesen waren, die die guten, ausdauernden Pferde nach England gebracht hatten, die denen der Angelsachen weit überlegen waren. Dass es auch die Wikinger waren, die das Pferderennen erfanden und in England populär machten. Und dass die Pferde, die sie heute züchteten, immer noch Nachfahren jener mächtigen Wikingerrösser waren, vermischt mit dem feurigen Blut der kleineren Maurenpferde, die Kreuzfahrer und Kaufleute aus dem Morgenland und aus Spanien mit nach England gebracht hatten. Robin sog alles wissensdurstig in sich auf. Er hätte nie geglaubt, was es alles über Pferde zu wissen gab.
Palamon und Hector waren den ganzen Herbst über schnell gewachsen, und Stephen reagierte mit einigem Unverständnis, ja manchmal mit Ärger darauf, wie schnell sie geworden waren. Aber die größte Überraschung versprach Argos zu werden. Er hatte seine knochige Unbeweglichkeit verloren. Sein Körper hatte sich gestreckt, und der Kopf war mächtig gewachsen. Er war eine stattliche Erscheinung geworden, und er war Robins ganzer Stolz.
Conrad hatte ihn sich angesehen und Robin lächelnd den Rücken geklopft. „Scheint, unser hässliches Entlein will ein Schwan werden, Robin. Mach nur so weiter mit ihm.“
Es wurde kälter. Heftige Stürme rissen nachts die letzten Blätter von den Bäumen. Robin erkannte endlich, warum sie ausgerechnet in dem engen Raum über der Sattelkammer hausten: die Sattelkammer war neben der Küche der einzige beheizte Raum. Ein kleines Kohlebecken brannte tagsüber und auch die Nacht hindurch, damit das Leder nicht spröde und rissig wurde. Etwas von der Wärme drang nach oben, so dass es in ihrer Kammer nie wirklich eisig wurde. Robin hatte sein Bett vom offenen Fenster weg an die gegenüberliegende Wand verlegt.
Maria verteilte ein Sammelsurium warmer Mäntel an die Stallburschen. Sie waren alle alt und abgetragen. Die Wolle, die für die neuen Mäntel bestimmt gewesen war und die Maria in mühevoller Arbeit den ganzen Sommer über gesponnen und gewoben hatte, hatten die Männer des Bailiffs mitgenommen. In den Wochen nach der Ernte zogen sie durch Waringham und die anderen Ortschaften der Baronie und trieben von den Bauern die Pacht ein. Schließlich waren sie auch zum Gestüt gekommen.
„Und mit welchem Recht, wenn man fragen darf?“, hatte Conrad sich schneidend erkundigt. „Solltet Ihr es noch nicht wissen, ich arbeite für Lohn und schulde keine Pacht.“
Der Bailiff, der Eintreiber und Wachhund der Gutsverwaltung, blieb unbeeindruckt. „ Tallage “, erklärte er knapp.
Conrad verschränkte die Arme und lächelte kalt. „Mir ist ganz neu, dass ich Eigentum dieser Baronie bin.“
Nur unfreie Leute mussten außer der Pacht auch noch Tallage bezahlen, eine Sonderabgabe, deren Höhe jedes Jahr neu festgelegt werden konnte und oft eine größere Bürde als die eigentliche Pacht und der Zehnte für die Kirche.
„Außerdem“, fuhr Conrad fort,
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