Das Lächeln der Kriegerin
sich nur durch ihre Zurückhaltung von den anderen Edelmännern, die sie dort gesehen hatte. Gleichwohl wirkte er wie einer der ihren und hatte etwas Würdevolles an sich. Er betrachtete sie neugierig.
Ostwen wollte sich an der Tür verabschieden, doch Istyar hielt sie zurück. »Mir scheint, du möchtest Lothiel gern eine Freundin sein. Euch verbindet viel. Beide seid ihr fern der Heimat und beide könnt ihr in diesen Tagen eine Freundin brauchen, selbst wenn ihr euch bereits morgen wieder trennt. Oft reicht es zu wissen, dass es an einem anderen Ort jemanden gibt, der an einen denkt. Wenn also Lothiel nichts dagegen hat, darfst du sie gern in mein Haus begleiten.«
Zu ihrer eigenen Überraschung zögerte Lothiel. Ostwen konnte ihr Trauer und Sorgen nicht nehmen. Aber sie half ihr über die Einsamkeit unter den fremden Menschen. Doch warum hatte sie so geheimnisvoll auf den Namen Rochon reagiert? Und warum bereitete Lothiel diese Frage solche Schmerzen?
Schließlich nickte sie dennoch. Morgen endlich würde sie die Stadt verlassen, nach Hause zurückkehren und Ostwen vermutlich nie wieder sehen. Diesem Istyar wollte sie nicht mehr erzählen, als sie schon im Saal der Königin gesagt hatte. Sie fühlte sich viel zu verwundbar, um ihre Wunden vor einem Fremden offen auszubreiten.
Der alte Mann führte sie in einen Raum, der den gesamten Grundriss des Turmes einzunehmen schien. Lothiel wurde nun doch neugierig. Sie schaute sich unter halb geschlossenen Augenlidern um. Es gab wenig Besonderes zu entdecken. In der Mitte des Raumes, der durch drei kleine Fenster schwach erleuchtet wurde, stand ein massiver Eichentisch. Auf ihm war eine Karte ausgebreitet, ähnlich der, die sie im Beratungssaal der Königin gesehen hatte. Eine hohe Kerze in einem einfachen Halter spendete zusätzliches Licht. Bei dem Fenster, das sich der Tür gegenüber befand, stand ein mächtiges Lesepult, auf dem ein großes Buch aufgeschlagen lag. An den Wänden auf Ablagen, Gestellen, Truhen und Schemeln stapelten sich weitere Bücher und vergilbte Schriftrollen. Ein freier Schemel stand bereits am Tisch und Istyar räumte zwei weitere frei, die er an die andere Seite des Tisches stellte. Er bedeutete seinen Gästen, sich dort hinzusetzen, und nahm selber Platz. Eine Weile betrachtete er Lothiel, die sich unter seiner Aufmerksamkeit nicht besonders wohl fühlte.
»Da ist viel Unruhe in dir«, sagte er. »Doch spricht die Königin weise, wenn sie meint, es sei besser, du begibst dich morgen auf einen sicheren Weg, als heute auf einen, dessen Ende du vielleicht nicht erreichst.«
Lothiel antwortete nicht.
»Es muss ein gutes Zuhause sein, das dich zu sich ruft. Und es sind sicher gute Menschen, um die du dich sorgst und deren Sorge zu beenden jetzt dein einziges Ziel ist. Willst du mir nicht von ihnen berichten?«
Lothiel unterbrach ihr Schweigen nicht. Er war ein Fremder. Und doch meinte sie, ihm früher schon begegnet zu sein.
»Glaube mir, es hilft, sich in schlimmen Zeiten der besseren zu erinnern.«
Lothiel begann zu erzählen. Sie sprach und Istyar hörte ihr zu. Er unterbrach sie nicht, sah sie an und rührte sich kaum. Wären da nicht seine aufmerksamen Augen und ein gelegentliches verständnisvolles Nicken gewesen, hätte man denken können, er sei eingeschlafen. Doch Lothiel fühlte, dass sein Interesse nicht geheuchelt war. Sie verlor sich in ihrer eigenen Geschichte, sprach von Adar und Naneth, von Tass und Hu, vom Hof und der Arbeit, die sie dort verrichtete. Auch dass sie sich manchmal etwas einsam fühlte, verschwieg sie nicht. Sie erlebte ihre Freude, als Adar sie das erste Mal zur Grenzfeste mitnahm, staunte über die vielen kleinen Wunder, die sie dort gesehen hatte und die nicht weniger wurden, als sie die Stadt wieder und wieder besuchte. Zuletzt hatte sie dort sogar einen Freund gewonnen. Einen Freund, der vielleicht gar nicht mehr am Leben war.
»Warte.«
Hatte Istyar ihr Stocken bemerkt?
»Von den nächsten Ereignissen hast du bereits bei der Königin berichtet. Sie haben einen Schatten auf deine junge Seele gelegt. Doch vieles aus der Zeit davor hast du dir bewahrt, wenn es jetzt auch verborgener ist. Und das ist gut so.«
»Glaubt Ihr …«, fragte Lothiel zögernd. »Glaubt Ihr, ich habe Vater und Mutter im Stich gelassen?«
Der alte Mann dachte über die Frage nach. Lothiel spür te, wie ernst er sie nahm.
»Nein, das glaube ich nicht. Du fehlst ihnen sicher sehr. Auf dem Hof und in ihren Herzen. Sie sorgen
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