Das Lächeln der toten Augen
antwortete der Kollege vom Streifendienst.
»Gut, ich komme.« Trevisan legte auf. Für einen Moment blieb er regungslos vor dem Telefon stehen. Er atmete tief durch. Dann ging er ins Badezimmer.
Er hatte lange überlegt, ob es hilfreich war, einen Arzt oder einen Pfarrer hinzuziehen. Schließlich war er alleine mit dem Dienstwagen hinaus nach Neuengroden gefahren. Als er den Audi gegenüber der Villa geparkt hatte, blieb er einen Moment in Gedanken an den gestrigen Tag vertieft vor dem Grundstück stehen. Das weit ausladende Gelände wurde von einer halbhohen Mauer umfasst. Ein schmiedeeisernes Tor verwehrte den Zugang. Das Haus stand versteckt hinter hohen Büschen und drei riesigen Birken. Auf der gepflasterten Zufahrt stand ein dunkler Mercedes. Trevisan wusste, dass der Mercedes etwa so viel wie die Hälfte seines kleinen Reihenhäuschens gekostet hatte. Die Halbermanns waren ohne Zweifel eine reiche Familie.
Trevisan suchte nach dem Klingelknopf. Eine Sprechanlage befand sich darunter. Bevor er klingelte, versuchte er nochmals am Drehgriff, das Tor zu öffnen. Doch es war verschlossen. Erst nach dem vierten Klingeln drang eine undeutliche Stimme aus dem kleinen Lautsprecher, die Stimme eines müden und ungehaltenen Mannes. »Was soll das, zum Teufel?«
Trevisan schluckte. Sein Mund war trocken. »Trevisan ist mein Name. Ich bin Polizeibeamter und muss dringend mit Ihnen sprechen. Bitte, öffnen Sie!«, antwortete er bedrückt.
Erst jetzt bemerkte er die Kamera, die hinter dem Zugang an einen Mast montiert war und ihn mit ihrem kalten Linsenauge beobachtete.
»Die Polizei?«, hörte er noch, bevor der elektrische Türöffner summte.
Mit jedem Schritt überlegte er, wie er den Halbermanns beibringen sollte, dass sich ihr Sohn das Leben genommen hatte. Vor der Haustür blieb er stehen. Es vergingen ein paar Minuten, ehe ein großer Mann in Trevisans Alter in einem blendend weißen Bademantel öffnete. Das pechschwarze Haar des Mannes lag am Kopf an wie festzementiert. Es roch nach Veilchen oder ähnlichen Wiesenblumen. Trevisan bemerkte die dunklen Ränder um die tiefschwarzen Augen des Mannes. Das Gesicht war faltig. Er machte einen übernächtigten Eindruck.
»Guten Morgen. Hauptkommissar Trevisan von der Wilhelmshavener Polizei. Entschuldigen Sie die Störung. Sind Sie Herr Halbermann?« Trevisan reichte dem Mann die Hand.
Der Mann nickte nur und blickte Trevisan fragend an.
»Ich muss Ihnen leider mitteilen …«, fuhr Trevisan fort.
»Ist etwas passiert? Ein Unfall in der Firma?«
Trevisan hatte gehofft, dass ihn Halbermann ins Haus bitten würde, doch der dachte offensichtlich gar nicht daran.
»Simon, was ist los?«, hörte Trevisan eine Frauenstimme aus dem Dunkel des Flures fragen.
»Das wird uns der Herr bestimmt gleich erklären«, entgegnete Halbermann fordernd.
Trevisan überlegte, ob er um Einlass bitten sollte, doch er verwarf den Gedanken. Im Hintergrund tauchte eine rothaarige Frau in rosafarbenem Morgenmantel auf. Die Frau schien um einiges jünger und war trotz ihres verschlafenen Gesichtsausdruckes auch ungeschminkt eine Schönheit.
Trevisan atmete tief durch.
»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn sich gestern in Ihrem Ferienhaus in Horumersiel das Leben genommen hat.« Seine Stimme klang hölzern. Noch bevor sein letztes Wort verklungen war, hörte er einen spitzen Schrei. Dann sah er die Frau fallen. Sie stürzte zu Boden und blieb regungslos auf dem Läufer liegen.
*
Mike Landers war früh aufgebrochen, um sich im Yachthafen mit Tommy und Jochen zu treffen. Tommys Eltern hatten ein kleines Segelboot. Schon vor ein paar Tagen hatten sie ausgemacht, den Sonntag zu nutzen und einen kleinen Segeltörn hinüber zu den Inseln zu machen. Auch Sven Halbermann war bei dem Treffen dabei gewesen und hatte zugestimmt, nachdem Mike lange auf ihn eingeredet hatte. Wenngleich er bereits an diesem Tag schon verschlossen und abwesend gewirkt hatte. Doch Sven Halbermann kam nicht zum vereinbarten Treffpunkt.
»Es hat ihn stark mitgenommen, hoffentlich macht er keinen Quatsch«, sagte Mike, als er auf die Uhr blickte. Sieben Minuten nach acht. Sven war bereits eine halbe Stunde überfällig.
»Hast du ihn gestern Abend noch einmal besucht?«, fragte Jochen.
Tommys Rufen unterbrach die beiden. »Wollen wir noch lange warten? Es frischt auf. Er kommt bestimmt nicht!«
»Tommy hat recht«, erklärte Mike. »Ich glaube auch nicht daran, dass er noch kommt. Ich weiß überhaupt
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