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Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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die Kamera zu holen.
    Trevisan folgte Ruhwedder in das Zimmer. Es war trotz seiner Dachschräge sehr geräumig. Trevisans Blick streifte die bunte Schlafcouch in der Ecke, daneben stand ein großer Kleiderschrank. Ein Tisch, eine Stereoanlage, ein Beistelltisch mit einem kleinen Fernseher und in der gegenüberliegenden Ecke ein Schreibtisch, der unter dem geöffneten Fenster stand, komplettierten die Ausstattung. Poster hingen an der Wand. Poster von Stars und Idolen, wie sie Trevisan auch in Paulas Zimmer hätte finden können. Ein Plakat hing neben dem Schreibtisch. Es warb für ein Computerspiel.
    Trevisan schaute sich um. Unter der Stereoanlage standen mehrere Schallplatten in der Ablage. Ein Plattencover lag auf dem Tisch. Trevisan griff danach und hielt es zwischen seinen Fingerkuppen, um keine Spuren zu verwischen. Es war eine alte Plattenhülle der Gruppe Kansas. Trevisan erinnerte sich noch gut an ihre Musik.
    Es war ungewöhnlich – Schallplatten! Die wenigsten Menschen hatten heute noch einen Plattenspieler.
    »Die Platte lief noch, als ich kam«, erklärte Ruhwedder. »Die Abschaltautomatik des Tonarms hat vermutlich versagt, deshalb ist die Nadel immer wieder in die Endrille zurückgesprungen. Das hörte sich für Frau Telgte an, als ob jemand hämmerte. Deshalb ist sie herübergekommen. Sie vermutete, dass etwas nicht stimmte.«
    Trevisan legte die Plattenhülle zurück auf den Tisch. »Wo liegt der Brief?«
    »Drüben auf dem Schreibtisch.«
    Auf der dunkelblauen Schreibunterlage lag ein Bogen Briefpapier mit Micky-Maus-Motiv an den Rändern. Ein Bleistift lag daneben. Die Handschrift auf dem Papier war krakelig.
    Vater, warum? Sie war das Beste, das ich im Leben hatte. Warum hast du sie mir genommen? Für immer. Ich hasse dich.
    In einigem Abstand darunter stand: Mutter, verzeih mir.
    Die Zeilen waren eine einzige Anklage. Trevisan schluckte.
    »Ich bin so weit!«, rief draußen Dietmar Petermann.
    »Ich komme!« Trevisan kratzte sich an der Stirn. »Wissen die Eltern schon Bescheid?«
    Ruhwedder schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht zu Hause. Die Nachbarn sagen, dass sie verreist sind. Aber sie wissen nicht, wohin.«
    Trevisan nickte gedankenverloren, dann ging er hinaus in den Flur.
    Dietmar hatte bereits begonnen, den Jungen zu entkleiden. Trevisan trat hinzu. Gemeinsam suchten sie nach Verletzungen, nach Wunden, nach Prellungen oder Hautabschürfungen, die darauf hindeuteten, dass jemand beim Tod des Jungen nachgeholfen hatte. Routinearbeit. Außer den grässlichen Striemen und Bluteinfärbungen am Hals fanden sie nichts, es gab keine Hinweise auf einen vorausgegangenen Kampf. Doch das hatte Trevisan auch nicht erwartet.
    »Eindeutig Selbstmord«, resümierte Petermann. »Jetzt brauchen wir nur noch das Motiv, dann können wir den Fall abschließen.«
    Trevisan verzog seine Mundwinkel. Er hasste es, wenn Dietmar Petermann den Freitod eines Menschen auf das pure Aufnehmen der Personalien und die Motivsuche für den Staatsanwalt reduzierte. Doch eigentlich hatte er recht. Um mehr ging es bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit nicht. Und das war schon schwierig genug, denn in den meisten Fällen von Selbstmord blieb das Motiv verborgen.
    »Kann ich den Bestatter rufen?« fragte Ruhwedder.
    Trevisan nickte. Er dachte an Paula. Der Junge war nur wenig älter als seine Tochter. Er hatte seinem Leben ein Ende gesetzt, obwohl er nur einen kleinen Teil davon gelebt hatte. Trevisan erschauderte.
    Wie würde Paula reagieren, wenn er sie zur Rede stellte?
    Kaum eine halbe Stunde später traf der Bestatter ein. Es dauerte eine geraume Weile, bis die Leiche des Jungen in den schwarzen Transportbeutel aus Kunststofffolie verpackt worden war. Trevisan schaute sich in der Zwischenzeit weiter im Zimmer des Toten um. Er öffnete die Schubladen des Schreibtisches, doch er wusste nicht, wonach er eigentlich suchte. Ein Tagebuch vielleicht, Aufzeichnungen, die den Selbstmord zumindest etwas durchschaubarer, etwas nachvollziehbarer machten. Wenngleich es für ihn dann immer noch unbegreiflich bliebe, dass ein Mensch überhaupt diesen Weg einschlagen konnte.
    Dietmar Petermann stand neben ihm und hielt den Abschiedsbrief in der Hand, der inzwischen in eine Folie verpackt worden war.
    »Tja, anscheinend die üblichen Probleme eines pubertierenden Jugendlichen mit seinen Eltern«, resümierte er, nachdem er die letzten geschriebenen Zeilen im Leben des Jungen überflogen hatte.
    »Was meinst du damit?«, fragte

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