Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
Vom Netzwerk:
Schneidezähnen erschien er selbst wie ein Zuhälter. Der riesengroße Anker auf seinem muskulösen Oberarm verstärkte diesen Eindruck noch.
    Monika saß neben Till auf einem Stuhl und dachte daran, wie schön beschaulich es vergleichsweise in Wilhelmshaven zuging. Kriminaloberrat Beck hätte Michalek bestimmt schon zu einem Friseurtermin verholfen oder ihn notfalls selbst rasiert.
    »Aha, da ist sie ja«, sagte Michalek. »Ich sagte schon, wenn sie im Club 19 tanzt, dann ist mit ihr bestimmt alles in Ordnung. Die achten schon darauf, dass ihr Visum gültig ist.«
    »Es war ein Glücksfall, dass der alte Hausmeister von Norderney bei seinem Ausflug mit dem Werder-Fanclub ausgerechnet im Club 19 versumpfte«, flüsterte Till. Monika nickte.
    Michalek war aufgestanden und hatte die junge blonde Frau in dem kurzen schwarzen Kleid in Empfang genommen. Er führte sie in sein Büro und redete mit ihr, als würde er sie schon eine Ewigkeit kennen.
    Monika warf Till einen Blick zu. »Der kennt wohl jede hier in der Stadt?«
    »Das ist auch sein Job«, antwortete Till lächelnd.
    Michalek bot der jungen Russin einen Platz an. »Das ist Nadja«, erklärte er. »Sie spricht nur sehr schlecht deutsch. Aber das kriegen wir schon hin. Ich werde ein bisschen dolmetschen.«
    »Sie sprechen russisch?«, fragte Till erstaunt.
    »Klar doch, ich muss schließlich wissen, was hier läuft.«
    Nadja hatte sich inzwischen auf einen Stuhl gesetzt und ihr knappes Kleid geglättet. Ihr Gesicht wirkte etwas bleich. Sie war ungeschminkt und mochte wohl Mitte zwanzig sein. Sie warf Monika einen unsicheren Blick zu. Monika erhob sich und zog ihren Stuhl etwas näher an die Frau heran. Dann stellte sie sich als Polizistin aus Wilhelmshaven vor.
    »Ich habe ein paar Fragen an Sie«, sagte Monika und wartete auf die Reaktion der jungen Frau. Deren nervöser Blick wanderte zwischen Till und Michalek hin und her. Eine gewisse Verunsicherung war nichts Ungewöhnliches, wenn man zur Vernehmung zur Polizei gebeten wurde, doch in Nadjas Miene lag die pure Angst.
    »Kennen Sie eine gewisse Vesna Glasic?«, fragte Monika.
    Die junge Russin nickte.
    »Sind Sie von ihr nach Deutschland gebracht worden?«
    Plötzlich brach Nadja in Tränen aus. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und kreischte unverständliche Worte. Monika, überrascht von der Reaktion der Frau, hob beschwichtigend die Hände. »Was ist los mit ihr?«, fragte sie Michalek.
    Er zuckte mit den Schultern und wartete, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann sprach er in Russisch auf die Frau ein, bis sie zu reden begann. Die Unterhaltung dauerte eine ganze Weile. Michalek ließ sie erzählen und schob nur ab und an eine Aufmunterung dazwischen. Die ganze anfängliche Heiterkeit auf seinem Gesicht war einem Ausdruck von Abscheu gewichen.
    Monika und Till verstanden zwar kein Wort, aber aus der hysterischen Stimme der jungen Frau, aus ihren Gesten, aus dem zeitweiligen Stocken und dem erneuten Tränenausbruch konnten sie entnehmen, dass es eine schlimme Geschichte war, die Nadja erzählte.
    Oberkommissar Michalek hörte aufmerksam zu. Ab und an legte er Nadja tröstend die Hand auf die Schulter. Am Ende der Erzählung sank sie zusammen. Ihre Augen waren rot geweint. Michalek rief eine junge Kollegin hinzu, die sich Nadjas annahm und nach draußen führte. Erst als die Tür geschlossen war, erzählte er, was er von der jungen Frau erfahren hatte.
    Nadja stammte aus einem Vorort von Kalinin, einer Stadt in der Nähe Moskaus. Glasic hatte sie nach Deutschland gelockt, um sie mit einem deutschen Mann zu verheiraten. Sie hatte für ein Visum gesorgt und ihr die kühnsten Versprechungen gemacht. Vesna Glasic hatte ihr in höchsten Tönen von der schillernden Welt der Konsumgesellschaft erzählt. Nadja lebte in einer Stadt, wo sich auch heute noch lange Schlangen vor den Lebensmittelläden bildeten und die Waren bereits ausverkauft waren, bevor der letzte Kunde das Geschäft betrat. Arbeitslos, hungrig und zu einem kargen Leben im Elend verdammt. Also waren Vesna Glasics Worte auf fruchtbaren Boden gefallen. Nadja war nach Deutschland gekommen. Eine Woche später hatte sie ihren zukünftigen Mann kennengelernt. Von einem jungen, zärtlichen Deutschen hatte sie geträumt. Ein alter, fast sechzigjähriger, ungepflegter und fetter Mann hatte sie erwartet. Ein Mann, der sie sofort als Eigentum betrachtet hatte.
    Nadja war in ihr Zimmer geflüchtet und hatte sich eingeschlossen. Der Mann war

Weitere Kostenlose Bücher