Das Lächeln der toten Augen
zwei Meter groß. Pastellfarbene Kleckse, wirres Übereinander und Ineinander, verwoben durch die Pinselstruktur des unbekannten Künstlers. »Kindermalen«, hatte Trevisan diese Art der Malerei einmal genannt, als er vor ein paar Monaten mit Angela die Vernissage einer Freundin besucht hatte. Die hatte im ähnlichen Stil gemalt und bestimmt viel Geld für die Farben ausgegeben.
Angela hatte ihn unsanft gestupst. »Du musst einfach den Zugang finden«, hatte sie ihn belehrt.
Diesmal fand er den Zugang gleich. Eine Glastür, direkt neben der Bild, die Dietmar und ihn wiederum in einen dunklen Gang entführte, in dem spärliches Neonlicht vergeblich versuchte, einen düsteren Tag zu imitieren. Versorgungsamt stand in weißen Buchstaben auf der kalten Oberfläche aus Glas.
Es war das dritte Zimmer auf der rechten Seite. Zimmer 203, Sachbearbeitung für Versorgungsfragen, Herr Heinrich hieß es auf dem Türschild. Trevisan klopfte und erwartete, auf einen typisch deutschen Verwaltungsbeamten zu treffen. Mittelalt, mittelgroß, Mittelscheitel und ein Dutzendgesicht in hellem Hemd und Cordhose.
Doch Trevisan irrte. Heinrich war etwa dreißig Jahre alt, trug eine verwaschene Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift Bullshit und hatte seine langen, pechschwarzen Haare zu einem Zopf gebunden. In seinem linken Ohr steckten mehr Ohrringe, als in Paulas Schmuckschatulle lagen.
»Die Kriminalbeamten aus Wilhelmshaven, nehme ich an«, sagte der junge Mann und deutete auf die beiden Stühle neben seinem Schreibtisch.
»Stimmt, wie haben Sie uns erkannt?«, antwortete Trevisan.
Der junge Mann lächelte. »Genau so habe ich mir Polizisten eben vorgestellt.«
Trevisan betrachtete sich. Er trug eine hellgraue Leinenhose, ein weißes T-Shirt und darüber ein hellgraues Jackett und fand sich gut und sportlich gekleidet.
»Ich habe die Akte Gehlers bereits herausgesucht«, fuhr Heinrich fort, nachdem sich Dietmar und Trevisan gesetzt hatten. »Ich musste ins Archiv. So alte Fälle stehen nicht mehr in unserer EDV. Lediglich die Zahlungsanweisungen und die Konten sind dort registriert, damit die Pension auch pünktlich auf dem Konto eingeht.« Er schlug die dicke Akte auf. Ihr Umschlag war braun und zerschlissen.
»Dann lebt Gehlers noch?«, fragte Dietmar.
Heinrich nickte. »Jedenfalls erhält er immer noch monatlich seine Pension.«
»Wohin wird der Betrag überwiesen?«, schaltete sich Trevisan ein.
Heinrich blätterte in der Akte. »Sparkasse Friesland, Filialstelle Norderney. Er lebt offenbar auch dort. Kaiserstraße 22.«
Dietmar pfiff durch die Zähne. »Na, wenn das kein Zufall ist. Haben Sie seine vollständigen Personalien?«
»Lars Uwe Gehlers, geboren am 18. März 1933 in Braunschweig. Professor, Politologe und Historiker«, las Heinrich vor.
Dietmar machte sich Notizen.
»Steht in ihrer Akte auch etwas über die Umstände seiner Frühpensionierung«, fragte Trevisan. »Er wurde doch frühpensioniert?«
Heinrich schlug erneut ein paar Seiten um. »Er wurde 1980 nach einem langen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik Oldenburg pensioniert. Der Amtsarzt kam zur Diagnose: Unheilbare Schizophrenie. Ein Opfer seiner Arbeit? Hoffen wir, dass es uns nicht einmal genauso ergeht.«
»Und er lebt tatsächlich noch auf Norderney?«
»Die Post geht jedenfalls dorthin«, erwiderte der junge Verwaltungsbeamte. »Bislang wurde sie immer zugestellt. Aber wir überprüfen die Adressen nicht ständig. Die Pensionäre werden sich schon melden, wenn das Geld nicht rechtzeitig auf dem richtigen Konto eingeht.«
Dietmar runzelte die Stirn. »Aber wenn er stirbt, dann zahlen Sie ja umsonst?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es doch die Standesämter. Die melden uns, wenn er verstirbt.«
»Und wenn so etwas im Ausland passiert?«, warf Trevisan ein.
»Dann läuft das Verfahren eben über die Botschaften oder über das Auswärtige Amt. Wir haben viele Pensionäre, die ihren Lebensabend in Spanien, Italien oder sogar den USA verbringen. Das System ist so verzahnt, dass uns nichts entgeht.«
Trevisan hatte es geahnt. Also doch Bürokratie bis ins Detail. »Haben Sie Gehlers’ Wohnsitz in der letzten Zeit überprüft?«
Heinrich schüttelte den Kopf. »Er wohnt meinen Akten nach seit fünfzehn Jahren auf der Insel. Die letzte Überprüfung war vor sieben Jahren. Seither hat sich nichts geändert, weshalb hätten wir das tun sollen?«
Trevisan gab sich mit der Antwort zufrieden. Der junge Mann hatte
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