Das Lächeln der toten Augen
streifte ihn. »Ich gehe davon aus, dass sich die damalige Klinikleitung von der Glaubhaftigkeit der Erklärung überzeugt hat. Schließlich hatten wir keine Handhabe, ihn hierzubehalten.«
»Haben Sie ihre Personalien?«, fragte Trevisan.
Doktor Dremel blätterte in dem Ordner. »Sie heißt Namo Silivlis.«
Dietmar pfiff durch die Zähne. »Jetzt wundert mich gar nichts mehr. Bestimmt ist als Adresse Norderney, Kaiserstraße 24 eingetragen.«
»Nein, Kaiserstraße 22«, stellte Doktor Dremel richtig.
Trevisan staunte.«Du kennst sie?«, fragte er Dietmar.
»Ich bin auf ihren Namen gestoßen, als ich wegen der Glasic recherchierte«, erklärte Dietmar. »Den Namen vergisst man nicht so leicht. Auf alle Fälle gehört ihr das Haus, in dem die Glasic lebt und der Kulturverein untergekommen ist. Anscheinend besitzt sie noch mehr Häuser auf Norderney.«
Trevisan hatte es die Sprache verschlagen. Er sah Dietmar vorwurfsvoll an.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass diese Frau etwas mit der Sache zu tun hat«, sagte Dietmar entschuldigend. »Viele Leute vermieten ihre Häuser.«
»Klar, du hast recht«, erwiderte Trevisan. »Aber der Name der Frau ist ungewöhnlich, woher stammte sie?«
»Meinen Akten nach ist sie am 25. November 1951 in Thule geboren«, mischte sich Doktor Dremel ein.
»Thule, liegt das nicht in Grönland?«, fragte Trevisan.
»Ja, und es gehört zum dänischen Staatsgebiet«, erwiderte Dietmar Petermann.
Trevisan kratzte sich nachdenklich am Kinn. Alles drehte sich immer um Dänemark. Welche Verbindungen gab es dorthin? »Gab es noch andere Personen, die Gehlers während seines Aufenthalts hier in Oldenburg besuchten?«
»Wissen Sie, es ist nicht unsere Art, die Besucher zu notieren, aber in gewissen Fällen, so wie in diesem, war es wichtig, den Erfolg der Therapie nicht zu gefährden. Es könnte ja immerhin vorkommen, dass der Patient einen bestimmten Besucher oder auch eine Besucherin nicht sehen will – oder ihn die Unterhaltung mit einem Gast zurück in sein schwarzes Loch stößt, nachdem wir ihn in mühseligen Therapien daraus hervorgeholt haben. Deshalb macht der behandelnde Arzt Notizen.«
»Und gibt es eine Notiz im Falle Gehlers?«, hakte Trevisan nach, um den ausschweifenden Erklärungen des Arztes ein Ende zu machen.
»Ich habe hier nur Nachnamen«, erwiderte Dremel. »Halbermann, Behrends und Elbers. Vornamen oder Adressen sind nicht notiert.«
Trevisan nickte. »Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«
Es war kurz vor zwölf, als Trevisan zusammen mit Dietmar Petermann Dremels Büro verließ.
Trevisan saß schweigend im Wagen. Wie in einem Labyrinth kreisten seine Gedanken um Simon Halbermann, den Abgeordneten Behrends und den verrückten Professor. Doch über all dem stand ein einziger Begriff: Dänemark. Dort musste der Schlüssel zur Lösung des Rätsels liegen.
Simon Halbermann war vermutlich tot. Ums Leben gekommen bei einem Flugzeugabsturz, den er selbst zu verantworten hatte. Weil, so vermutete Trevisan, die Habgier in ihm stärker gewesen war als seine Trauer. Er hatte sich ein neues Souvenir für seine Sammlung besorgt, obwohl er nur Stunden zuvor seinen Sohn zu Grabe getragen hatte. Und seine Frau war durch einen tödlichen Medikamentenmix gestorben. Hatte sie nicht mehr leben wollen, weil sie das Wertvollste verloren hatte, das ihr das Leben jemals geschenkt hatte, ihren einzigen Sohn? Konnte sie sich ein weiteres Leben mit ihrem despotisch veranlagten Mann einfach nicht mehr vorstellen?
Hatte Simon Halbermann die gerechte Strafe vom höchsten Gericht erhalten, hatte ihn die Strömung in die dunkle Tiefe gerissen, damit er für immer und ewig im salzigen Wasser vermoderte und keiner seiner Bekannten und Freunde je zu einer Grabstätte pilgern konnte? Weder Behrends noch Gehlers noch dieser Steueranwalt Elbers, dessen Name in der letzten Zeit auch oft genug aufgetaucht war?
Doch irgendetwas stimmte nicht. Einige Teile fügten sich noch immer nicht ineinander.
Wer war für den Tod von Mike Landers verantwortlich? Wer waren Halbermanns Helfer? Würde Trevisan die Täter jemals zu fassen kriegen? Wo war Maria Souza da Marques und wer war der unbekannte Tote, dessen Kopf sie bei Halbermann gefunden hatten? Würde es ihm gelingen, für dieses letzte Überbleibsel eines menschlichen Daseins eine ordentliche Gedenkstätte zu schaffen, auf der Name und Sterbetag vermerkt werden konnte?
Trevisan war zwar in Oldenburg geboren, aber in Wilhelmshaven
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