Das Lächeln der toten Augen
es dem Pfarrer zu lange gedauert. Trevisan verließ das Dienstgebäude und lief die Parkstraße entlang. Er hatte Hunger. Trevisan wandte sich in Richtung der Nordseepassage. Der Thermometer am Gebäude der Wilhelmshavener Zeitung zeigte 28 Grad und es war noch nicht einmal Mittag.
An einem kleinen Stand in der lichtdurchfluteten Passage kaufte sich Trevisan ein Wurstbrötchen. Er aß langsam und bedächtig. Dann wischte er sich den Senf von den Lippen und wandte sich in Richtung Ebertstraße. Er musste nachdenken. Er schlug den Weg zur Kaiser-Wilhelm-Brücke ein. Das Wasser glitzerte in der Ferne. An einem Eisstand am Badestrand hatte sich eine Menschentraube gebildet. Touristen schlenderten über die Strandpromenade. Der Leuchtturm von Arngast stand brav und geduldig Modell für die Erinnerungsfotos. Trevisan atmete tief durch.
*
»Bedenkt, wir haben es geschworen«, sagte der Grauhaarige heroisch. »Wir sind die Söhne Uthers und auf ewig an unseren Eid gebunden. Wir werden niemals weichen. Auch der Stein wird uns nichts anhaben können. Es sind die Tage des Kampfes, die Tage des Blutes. Handelt! Der Bote des Bösen muss ausgelöscht werden. Auf immer und ewig. Die Ausgeburten der Hölle sind erwacht.«
Der strenge Blick des Grauhaarigen wanderte über die Gesichter an der langen Tafel. Seine eindringliche Ansprache ließ keinen Widerspruch zu. Mit einem eleganten Schwung warf er seinen Umhang hinter sich und ließ sich auf seinem Thron nieder.
Feierliches Schweigen breitete sich aus. Die Männer wagten nicht, sich zu bewegen. Wie Puppen saßen sie in der Runde. Das einzige Geräusch war das Rauschen der wilden Wasser.
Elbers trug wie immer einen dunklen Anzug. Er war der Erste, der sich nach einer Weile aus seiner Erstarrung löste.
»Es ist nicht so einfach, wie es damals war«, sagte er. »Wir werden alles verlieren. Diesmal können wir nicht kämpfen. Wir sollten für eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Ich habe alles in die Wege geleitet.«
»Flucht! Du sprichst von Flucht?«, donnerte der Grauhaarige ungestüm los.
»Keine Flucht – den weißen Weg sollten wir gehen, so wie unsere Vorfahren vor mehr als zweitausend Jahren.«
»Du hast dein Leben unserer Sache gewidmet«, herrschte ihn der Grauhaarige an. »Und nun willst du uns verraten und denkst nur daran, deine Pfründe zu retten.«
»Die deutschen Behörden arbeiten anders als die hier in Dänemark«, versuchte sich Elbers zu rechtfertigen. »Sie sind gründlich und drehen jeden Stein um …«
Der Grauhaarige erhob sich blitzschnell. Mit einer strengen Geste wischte er Elbers’ Worte davon. »Dann schlagen wir dieser Schlange den Kopf von den Schultern.«
»Es gibt viele Köpfe, zu viele.«
»Nicht, wenn wir den richtigen Kopf treffen«, antwortete der Grauhaarige.
Schweigen breitete sich aus. Dann ergriff der Alte erneut das Wort: »Was weiß die Frau, was kann sie über uns sagen?«
Elbers überlegte. »Nicht viel, sie kennt nicht die Verbindung und die Daten sind sicher.«
»Dann soll es so sein«, beschloss der Grauhaarige.
Elbers schüttelte den Kopf. »Das ist nicht klug. Sie kennen die meisten von uns. Sie haben unsere Namen und werden weitermachen. Ich für meinen Teil ziehe es vor, für eine Weile zu verschwinden. Ich kann es euch auch nur empfehlen.«
Die Männer am Tisch schauten ihn mit großen Augen an. Unsicher erwiderte Elbers ihren Blick. Dann fuhr er herum.
Das glitzernde Schwert durchschnitt die Luft. Blut spritzte in weitem Bogen auf den Boden und ein furchtbares Geräusch klang durch den Raum.
»Niemand verrät unsere heilige Sache und macht sich wie ein Feigling davon. Nicht solange ich der Bewahrer des Lichtes und des Schwertes bin.«
Elbers’ kopfloser Körper stürzte zu Boden.
*
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Wahre Sturzbäche ergossen sich draußen auf die Wege und Häuser, die Autos in den Straßen kämpften gegen dunkle Gischt. Das Gewitter entlud sich mit aller Macht. Ganz Wilhelmshaven lag unter der düsteren Wolkendecke begraben.
»Es ist wie verhext«, sagte Dietmar Petermann. »Nirgends ist ein Bild von dem Kerl aufzutreiben. Weder auf der Passstelle noch auf der ganzen Gemeinde. Das Einzige, was ich habe, ist eine oberflächliche Beschreibung.«
»Dann werden wir abwarten müssen, was die Fingerabdrücke erbringen, die wir in der Wohnung gesichert haben«, erwiderte Trevisan. »Einer der Prints wird ihm schon gehören und wenn er wirklich Dreck am Stecken hat, dann
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