Das Lächeln der toten Augen
des Feindes und mit einem gurgelnden Laut sank der Mann zu Boden. Dann zerschnitt sie das Band, das den weißen Wolf an einen Pfahl fesselte, und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rücken.
»Lauf, Halmir, lauf und raste erst, wenn das Land sein Gesicht verändert und das sanfte Grün der Wiesen deine Pfoten berührt!«
Der Wolf schaute ihr ins Gesicht. Sein Blick verriet ihr, dass er sie verstanden hatte. Das Tier zögerte, doch noch bevor der feindliche Pfeil Isannas Brust ganz durchbohrt hatte, rannte der weiße Wolf los. Wie ein Blitz hetzte er durch das Morgengrauen. Und er wurde nie mehr an den Gestaden des kalten Meeres gesehen …
Schweißgebadet erwachte der Grauhaarige aus seinem Traum. Immer und immer wieder träumte er den gleichen Traum. Jahrzehnte schon. Selbst als Kind hatte er diese Szenen schon durchlebt. Der Traum der letzten Schlacht von Uthers Nachfahren wirkte so real, dass er längst wusste, dass es kein bloßer Traum sein konnte. Es war eine Vision. Doch Igantors Fluch hatte sich nicht erfüllt, Einer entkam dem großen Gemetzel. Ein Nachfahre überlebte das große Sterben. Midirs Sohn. Das Kind mit dem Feuermal. Er selbst. Und auch dieses Mal würde er überleben.
32
Trevisan hatte den Rest des Sonntags mit einem guten Buch auf seiner Terrasse verbracht. Aber so spannend der Roman auch war, es gelang ihm nicht, seine Konzentration auf das Buch zu richten. Zu viele Gedanken geisterten durch sein Hirn.
Er würde der verbrecherischen Clique den Garaus machen, egal was Beck dazu sagte. Halbermann war tot, doch Elbers, Behrends und all die anderen würden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Reiche, barbarische Ungeheuer, die unter dem Deckmantel einer ehrenwerten, sogar noch als gemeinnützig eingestuften Gesellschaft einer menschenverachtenden und verbrecherischen Organisation angehörten, um ihren abartigen Neigungen zu frönen. Er würde sie nicht so einfach davonkommen lassen. Aber er brauchte Beweise. Die Aussage der Glasic war ein erster Schritt in die richtige Richtung, doch dies alleine würde für eine Anklage nicht ausreichen.
Sicherlich, die Steuervergehen waren ein Ansatzpunkt. Aber was waren falsche Bilanzen, getürkte Steuererklärungen und Finanzschwindeleien gegen Mord. Trevisan war überzeugt, dass Blut an ihren Händen klebte.
Nach einer unruhigen Nacht erwachte Trevisan schweißgebadet. Er schaute auf die Uhr, er musste sich beeilen. Paula schlief noch. Sie hatte Ferien.
In seinem Büro in der Peterstraße fand er eine Nachricht auf seinem Schreibtisch. Kriminalrat Beck wollte mit ihm sprechen. Dringend, stand in roter Farbe auf dem Notizzettel. Trevisan konnte sich denken, um was es bei diesem Gespräch ging. Mit einem Seufzer machte er sich auf den Weg, doch er kam nicht weit. Als er die Tür öffnete und mit Schwung in den Flur trat, wäre er beinahe mit einem Mann zusammengestoßen.
Dieser Mann trug trotz der heute wieder zu erwartenden Temperaturen einen schwarzen Anzug und hatte sein weißes Hemd bis zum Kragen zugeknöpft. Er war fast zwei Köpfe kleiner als Trevisan, hatte dunkle, mit Frisiercreme geglättete Haare und roch nach billigem Aftershave. Die hohen Wangenknochen und die weiße, faltige Haut seines Gesichtes ließen ihn wie einen vorzeitig gealterten Konfirmanden erscheinen.
»Guten Morgen, entschuldigen Sie«, murmelte Trevisan. »Suchen Sie jemanden?«
Die wachen Augen des Fremden flogen abschätzig über seine Gestalt. Er nickte. »Sind Sie Hauptkommissar Trevisan?«, fragte er mit piepsiger Stimme.
In Trevisans Büro klingelte das Telefon. Er entschuldigte sich und eilte an seinen Schreibtisch. Der alte Mann blieb verdutzt im Flur zurück. Kriminaloberrat Beck war am Apparat. Trevisan wurde bereits erwartet. Anke Schulte-Westerbeck, die Polizeidirektorin, wollte mit ihm reden, und die Sache duldete keinen Aufschub. Ärgerlich warf Trevisan den Hörer auf die Gabel.
»Probleme?«, fragte der Fremde, der in der Zwischenzeit vor der offenen Tür gewartet hatte.
»Wen suchen Sie eigentlich?«, fragte Trevisan irritiert.
»Ich sagte doch schon, ich suche Herrn Trevisan«, wiederholte der Mann.
»Ach so, ja, Sie haben ihn gefunden, aber ich habe gerade keine Zeit. Ein dringender Termin.«
»Gut, das macht nichts, dann werde ich warten«, bekam Trevisan zur Antwort.
Er eilte an dem Mann vorbei und schloss die Bürotür. »Wer sind Sie überhaupt?«, fragte er im Vorübergehen.
»Mein Name ist Bernhard Lesch.«
»Weswegen wollen Sie zu
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